Full text: Der Olymp oder Mythologie der Griechen und Römer

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Das Welen und die Bedeutung 
Nützliches und Ehrwürdiges; und eine noch aufgeklärtere Nach¬ 
welt würde so unrecht thun, diese Mängel zu verspotten, wie wir, 
wenu wir über den Volksglauben der Vorwelt witzeln oder gar 
lachen wollten, weil wir indem glücklichen Falle sind', richtigere 
Religionserkenntnisse, als jene hatten, zu besitzen. Was der ge¬ 
bildete Verstand unterrichteter Menschen sich vorstellt, muß so 
weit von dem verschieden sein, was der Rohe sich einbildet, als 
die Zeit der Kindheit von dem männlichen Alter. Das Wunder¬ 
bare beschäftigt lebhaft deu ungebildeten Verstand des rohen Menschen, 
der das Ungereimte noch nicht erkennt: er will alles vor Augen 
sehen, da er sich von unsichtbaren Dingen noch keinen Begriff zu 
bilden vermag. Er kann sich nicht in Untersuchungen vertiefen, 
weil ihm das geistige Geschick dazu mangelt, nimmt daher selbst 
die lächerlichste Vorstellung an, und gestaltet sich nach den un¬ 
sichtbaren Dingen das, was ihm zwar unsichtbar, aber doch 
seinen Wirkungen nach für ihn vorhanden ist. 
Aus diesem Gesichtspunkte, meine Leser, müssen Sie die 
ganze Götterlehre der Griechen, Römer und Ägypter betrachten; 
dann wird weder die große Zahl, noch das Wesen der von dem 
rohen Volkshaufen verehrten Gottheiten Sie überraschen, Ihnen 
aber auch das Sinnliche und Zeremonielle ihres Götterdienstes, 
ihrer Feste und Opfer nicht auffallend erscheinen. 
Jedes Arvolk, d. H. ein solches, welches die in irgend einem 
Lande der Erde wohnende Menschenmasse umfaßt, der eine gleiche 
Sprache, gleiche Sitten und späterhin gleiche Gesetze eigen waren 
(zum Unterschiede von andern Völkern, die, als Abzweige von 
einem Urvolke herstammend, in eine andere Gegend der Erde zogen 
und dort durch allmähliche Umbildungen eine von dem Urvolke 
verschiedene Sprache, Sitte und Verfassung annahmen), jedes Ur- 
volk also hat seine eigene Mythologie, deren Bildung in der Zeit 
beginnt, wo dasselbe sich aus der ersten Roheit seiner Sitte und 
seines Zustandes loszuringen anfing. Es hatte seine eigene Vor¬ 
stellung vou seinen Göttern, von Entstehung der Welt, der Erde 
und den Ursachen der auf derselben wahrgenommenen Erscheinungen.
	        
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