Die ersten städtischen Ansiedelungen in Deutschland. 87 
Rauracorum lebte nur dürftig in dem kleinen Angst wieder auf, die größere 
Ansiedelung, auf die es feine Bedeutung übertrug, war das etwas entfernt 
liegende Bafel. Eine bequeme Furt im Rheine zog hier die neuen Anbauer 
mehr an als die Ruine der Römerstadt. 
Die Höfe der freien Bauern, denen das Stadtgebiet zum Erbe ange¬ 
wiesen war, lagen wohl in der Regel mitten in den dazu gehörigen Fluren, 
auch in der Stadt selbst waren sie von Gärten, Weinbergen und Ackern 
umgeben. Der deutsche Landwirt versuchte zunächst die Schutthaufen der un¬ 
tergegangenen Römerstadt urbar zu machen. Auf den wüsten Bauplatzen um 
feinen Hof herum erntete er Getreide oder mähte Gras, ans den Wallen de* 
römischen Castrum pflanzte er Weinstöcke, und durch die Lücken der Stadtmauer 
ging fein Vieh auf die Weide. In dem übrig gebliebenen Mauerwerk rich¬ 
tete er sich ein, so gut es ging. Er wohnte mit fernen Rossen und Knechten 
unter einem Dache, verriegelte das Thor zu Nachtzeit mit hölzernen Kalen 
und zwang die kriegsgefangenen Römer, feilte Herden zu hüten, Zmuetleu 
wohl spannte der deutsche Einwanderer fein Holzdach über römisches vJcauet:- 
werk, feinen Jagdfpeer lehnte er an einen Marmorpfeiler, und fern Rotz 
stampfte den Mosaikfußboden. 
So trug der Germane fein Bauerntum in die Stadt hinein. Auch 
hier ward der Grundbesitz das herrschende Element, auch hier entschied 
fortan das Erbe über den Wert des Mannes, auch hier waren zunächst 
Ackerbau und Viehzucht die vorwiegenden Erwerbsquellen, und es vergingen 
Jahrhunderte, ehe es anders wurde. Langsam nur und schwerfällig arbeite¬ 
ten sich die deutschen Städte aus der ursprünglichen Dorfverfaffimg heraus; 
lange fehlte ihnen ein unterscheidendes Merkmal; sie blieben Dörfer, bis 
Handel und Gewerbe die starren Verhältnisse des Grundbesitzes zetfetzten, 
das bewegliche Vermögen, das Geld, zur Herrschaft brachten und etnc 
eigentümliche Verfassung erzeugten. 
Diese Umgestaltung ging nicht von den freien Grundbesitzern aus, son¬ 
dern von einer ärmeren Klaffe von Einwohnern, die sich zwischen königs- 
pfalz, Stift und den Höfen der Edlen hin und herbewegte und Handel 
trieb. Auch eine solche Bevölkerung ist sicher sehr früh schon in den Städten 
vorhanden gewesen. Bereits int 7. Jahrhundert kamen friesische Kaufleute 
bis Worms herauf, ein Jahrhundert später erringen Straßburger Kaufleute 
Zollfreiheit zu Dorstadt und zu Sluis an den Mündungen der Schelde. 
Es muß also in den Rheinstädten bald nach ihrer Wiedererweckung eine 
industrielle Bewegung eingetreten fein, und diese Regungen wurzelten in dem 
Verkehr mit Friesland und dem rheinischen Niederlande. Die Friesen, die 
Anwohner der unfruchtbaren See, die deutschen Phönizier, waren die ersten 
unter den deutschen Stämmen, die sich dem Handel und dem Gewerbe zu¬ 
wandten. Schon zu Drufus' Zeit waren sie eifrige Schiffer, gewiß pflogen 
sie frühzeitig einen intimeren Verkehr mit den Römerstädten, und zur Zeit 
der Merowinger lieferten sie ein vielbesuchtes Wollenzeug, Fries genannt,
	        
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