Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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wurden Knechte, Pferde und Hunde verbrannt, damit sie sich im 
künftigen Leben deren bedienen könnten. Als der König Harald ge¬ 
storben war, wurde sein Pferd getödet und der Sattel mit begraben, 
damit er nach Walhalla reiten könne. In dem vom Meere entfernt 
liegenden Gegenden fahren die Seelen in einem hoch durch die Luft 
daherziehenden Wagen zum Land der Todten. 
Sterben ist Heimkehr zur Gottheit. Dem Menschen die Heim¬ 
kehr zu verkünden sendet die Gottheit ihren Boten aus, welcher die 
Seele abholt und ihr zuführt. Die Seelen der im Kampfe gefalle¬ 
nen Helden holen die Walküren ab und geleiten sie nach Walhalla. 
Andere Seelen holl der Tod, der wie alle Geister plötzlich naht 
und kaum gerufen, schon erscheint. Der Tod ist kein schreckendes, 
schauerliches Wesen, sondern ein milder, aber seines Amtes streng 
wartender Diener der Götter. Er trägt, wie im Alterthum alle 
Boten, einen Stab. Er reitet auf einem Roß im Lande umher; 
die Seelen schaaren sich zu ihm und bilden sein Gefolge, nicht ein 
düsteres, trauriges, sondern ein heiteres, fröhliches. Das milde, 
zutrauliche Wesen des alten Todes tritt noch in vielen Zügen her¬ 
vor, die uns im Volksleben begegnen. Ec heißt Freund Hein, 
er wird in den Märchen gar zum Gevatter gebeten und ist seinem 
Pathen ein schützender, glückbringender Freund. Die düstere Auf¬ 
fassung des Todes hat sich erst durch christliche Einflüsse im Mittel¬ 
alter gebildet. 
Die Macht der Götter ist beschränkt; sie können dem Menschen DasSchicks«,. 
wohl Heil und Seligkeit schenken, aber sein Schicksal vermögen sie 
nicht zu ordnen; das unterliegt wie das der Götter einer höheren 
Weltordnung. Das Schicksal hat es hauptsächlich mit dem Beginn 
und dem Schluß des menschlichen Lebens zu thun. Seine Botinnen 
sind die Nornen, die Schjcksalsschwestern, welche an der Wiege 
und am Sterbelager des Menschen stehen. Das Geschick der Men¬ 
schen, Geschlechter und Völker ist im voraus angeordnet, aber nur 
die höchsten Götter kennen die Rathschlüsse und Fügungen des Schick¬ 
sals. Glück und Heil ist in den Gaben des Schicksals eingeschlossen, 
doch schrieb man später dessen Verleihung besonderen Wesen zu. 
Besonders steht das Frau Saelde zu, der eigentlichen Glücksgöttin 
unserer Vorzeit. Sie wachet über ihren Günstlingen, erscheint ih¬ 
nen und erhört ihre Bitten; wem sie aber gram ist, dem kehrt sie 
den Rücken zu. 
Der deutschen Religion vorzüglich eigen ist die Idee der Ent- Entrückung, 
rückung. Sie hängt zusammen mit der Idee der Verwünschung. 
Das Verwünschte behält seine Gestalt und wird nur unsern Blicken 
entrückt, erscheint jedoch von Zeit zu Zeit wieder, es kann nur 
unter gewissen Bedingungen wieder leibhaft werden. Entrückte 
Menschen sind geisterähnliche, sie schlafen und nur von Zeit zu 
Zeit erwachen sie. Aber nicht nur Personen, auch Thiere find 
entrückbar. Die Entrückung geschieht vorzugsweise in Berge, die 
zu bestimmten altheiligen Zeiten sich öffnen und einzelnen Men¬ 
schen Zutritt gestatten. In diesen Bergen zeigt sich solchen Bevor¬ 
zugten eine Wunderwelt, da herrscht meistens fröhliches, rühriges
	        
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