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bestimmten; hierher mußten jährlich, unter strenger Verantwort¬
lichkeit der hiermit betrauten Organe, 8 Millionen Scheffel Ge¬
treide versandt werden.
Die Fracht hatte die hauptstädtische Schiffergilde zu be¬
sorgen, die für die Kosten entschädigt wurde. Die Fahrt ging
nach der Insel Tenedos, von dort mit dem nächsten günstigen
Winde nach Byzanz, wo die Vorräte in die Speicher kamen, bis
man ihrer bedurfte.
Dabei gelangten, seitdem die unteren Volksschichten etwas zu
bedeuten hatten, auch die einheimischen Sprachen und Litteraturen
wieder zur Blüte; wir können ihr Emporkommen verfolgen Hand
in Hand mit der socialen, beziehungsweise religiösen Bewegung
der Zeit, die auch nach dem Durchdringen und der offiziellen
Anerkennung des Christentums keineswegs zum Abschluß gediehen
war. Es handelte sich jetzt mehr als je um die genauere De-
finierung der dogmatischen Lehrsätze; wie zu anderen Zeiten
dynastische oder nationale Fragen, oder auch Handel^interesfen
die Gruppierung der Parteien innerhalb eines Staatswesens be¬
stimmt haben, so waren es damals die theologischen Fragen, die
von jedem Handwerker oder sonstigen Mann ans dem Volke bis
ins kleinste Detail hinein verfolgt und beständig diskutiert wur¬
den; Fragen, ob in Ehristus nur eine oder ob zwei Naturen,
eine göttliche und eine menschliche zu unterscheiden seien; wie
das Verhältnis derselben zu einander aufzufassen wäre; ferner,
ob Maria einen Gott oder einen Menschen zur Welt gebracht
hätte? Nach der verschiedenen Art und Weise der Beantwortung
dieser Punkte nahmen die großen Centren des Reiches, die zu¬
gleich einflußreiche theologische Schulen besaßen, Alexandria, An
tiochia, Byzanz zu einander Stellung; von diesen Centren au*
wurde durch die hier geweihten Priester die Propaganda in
jedes Dorf, ja in jede Hütte getragen; die Gegensätze verschärf¬
ten sich und indem Byzanz, wo der Patriarch zugleich die Stel¬
lung eines Kultusministers bekleidete, in der Regel zu vermitteln