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XV. Ausbau des neuen Deutschen Reiches.
i. Mlkelm I. als Kaiser.
In der nun folgenden FriedensZeit hat die Reichsregierung an dem weiteren
Ausbau des Reiches gearbeitet und die Wehreinheit, Rechtseinheit und Wirt
schaftseinheit hergestellt. Den einzelnen Bundesstaaten verblieb die gesamte
innere Verwaltung und Ordnung, das Kirchen- und Schulwesen, die direkten
Steuern, Domänen und Forsten, Eisenbahnen und Kanäle.
1. Wehreinheit. Tie bewährten preußischen Heereseinrichtungeil wurden
auf das ganze Reich übertragen und eine kaiserliche Marine gegründet. So war
die Wehreinheit hergestellt. — „Uns aber unb unseren Nachfolgern in der
Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer bes Reiches zu sein, nicht in
kriegerischen Eroberungen, sonbern in ben Werken bes Friedens." So schloß die
erste Ansprache des neuen Kaisers an das deutsche Volk 1871. Der Erhaltung
des Friedens diente der Dreibund, ein Vertrag, der mit Österreich und
Italien zum Schutz gegen russische oder französische Angriffe geschlossen wurde.
Frankreich konnte es nicht verschmerzen, daß es das einst dem Deutschen
Reiche entrissene Elsaß-Lothringen hatte zurückgeben müssen. Nun wollte es
trotz seiner geringeren Einwohnerzahl das Deutsche Reich militärisch überholen,
um für den Tag der „Revanche" gerüstet zu sein. Die Volksvertretung bewilligte
dazu immer willig die geforderten Mittel. Auch Rußland rüstete und baute in
Polen viele Festungen. Die großen Erfolge, die das deutsche Heer erkämpft
hatte, konnten also nur durch eine starke Wehrkraft gesichert werden. Darum
sorgte Deutschland unablässig für die Vermehrung und Verbesserung des Heeres.
Auch die Flotte wurde vergrößert, nicht nur zum Schutze ber heimatlichen
Küste, sonbern auch, um Deutschlanbs Ehre in frentben Meeren zu sichern.
Denn immer mehr suchte ber Deutsche auf bem Weltmärkte Absatzgebiete für
bie Erzeugnisse seines Fleißes. Wilhelmshaven unb Kiel würben die beiden stark
befestigten Häsen für die Flotte. Eine bessere Verbindung zwischen der Nord-
und Ostfeeflotte sollte ein Kanal herstellen, zu dem unter Kaiser Wilhelm der
Grundstein gelegt wurde.
2. Rechtseinheit. Das ganze Reich bekam ein einheitliches Strafgesetz¬
buch. Mit der Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde be¬
gonnen. Es stellt Rechtsfätze über die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens auf,
z. B. über Kauf, Miete, Eigentum, Schulden, Erbschaft. Am 1. Januar 1900
trat es in Kraft. Eine einheitliche Gerichtsverfassung wurde geschaffen.
Danach gibt es Amts-, Land- unb Oberlandesgerichte. Der höchste Gerichts¬
hof ist bas Reichsgericht in Leipzig. Richter kann nur werben, wer bie vor¬
geschriebenen Prüfungen bestauben hat. Er wirb auf Lebenszeit ernannt und
ist bei seinem Urteil unabhängig von seinem Vorgesetzten urtb nur bem Gesetze
unterworfen. In Rechtsstreitigkeiten um geringe Werte urteilt bas Amts¬
gericht, bei Gegenstänben von höherem Werte bas Saubgericht. Wirb Berufung
eingelegt, so entscheibet bas Oberlaubesgericht. — Leichtere (Straffälle kommen
vor bas Schöffengericht bes Amtsgerichtes, wo ein Berufsrichter unb zwei'
Schöffen urteilen, schwerere Fälle vor bie Strafkammer bes Lanbgerichtes, bie
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