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1876 wurde das Telegraphenwesen mit der Post vereinigt. Immer
weiter spannte man den Draht, bis er nicht nur Städte und Länder verband,
sondern auch im Kabel über den Ozean zu fernen Erdteilen ging. Einige Jahre
später wurde auch der Fernsprecher eingeführt.
Stephans bedeutendste Tat war 1874 die Gründung des Weltpostvereins. 1874
Innerhalb seines Gebietes konnte man Briefe für 20 Pfennig, eine Postkarte
für 10 Pfennig versenden.
5. Soziale Arbeiterfürsorge, a) Not. Mit der Entfaltung der Industrie
durch die Dampfkraft war das £mndwetf sehr zurückgegangen, hingegen hatte sich
gleichzeitig die Zahl der Arbeiter bedeutend vermehrt. Die wirtschaftliche Lage
dieser Leute aber war recht unsicher. Kranke Arbeiter verdienten natürlich
nichts, alte und invalide konnte der Fabrikherr entlassen. Mitunter wurden auch
mehr Güter erzeugt, als verkauft werden konnten. Dann mußte der Betrieb ein¬
geschränkt oder die Fabrik ganz stillgelegt werden. Die Arbeiter waren erwerbslos.
Da sie meist keinen Besitz hatten, sondern aus den Lohn aus der Fabrik ange¬
wiesen waren, gerieten sie dann mit ihrer Familie in große Not. Dazu kamen
andere Übelstände. Die Tätigkeit in manchen Betrieben war ungesund und mit
Gefahr für Leib und Leben verbunden. Schlechte, oft kasernenartige Wohnungen
schädigten das Familienleben. Nun mußten die Arbeiter sehen, daß Unternehmer
oft sehr reich wurden und ein behagliches Leben führen konnten, während sie
von der Hand in den Mund lebten und auch meist keine Gelegenheit hatten,
sich durch Fleiß und Tüchtigkeit emporzuarbeiten. Da entstand Neid und Haß
gegen die Besitzenden, und auch mit dem Staat, in dem solche Ungleichheit
möglich war, wurden sie unzufrieden.
b) Wohltätigkeit und Selbsthilfe. Der einzelne Arbeitgeber konnte die
Opfer nicht bringen, die nötig waren, um den Arbeitern zu helfen, weil dann
seine Waren teurer geworden wären als die seiner Mitbewerber. Die private
Wohltätigkeit in Vereinen und Gemeinden suchte die größte Not zu lindern. Ge¬
meinnützige Baugesellschaften sorgten für billige und gesunde Wohnungen. Es
wurden Kinderschutzvereine, Ferienkolonien, Kinderheilstätten an der See, Volks¬
küchen und Arbeiterkolonien gegründet. Auch mancher Arbeitgeber sorgte für
das Wohl seiner Arbeiter und Angestellten.
Schulze-Delitzsch empfahl den Handwerkern, Arbeitern, Bauern und
kleineren Unternehmern, sich zusammenzuschließen und eine Genossenschaft zu
gründen, die dann den Wettbewerb mit der Großindustrie aufnehmen könnte.
Auf seinen Rat bildeten 1849 die Schuhmacher und Tischler die Rohstoff-
einkaufsgenosfenfchaften. Diese konnten nun wie ein reicher Fabrikherr die Roh¬
stoffe im großen vorteilhaft einkaufen und dem einzelnen Mitgliede zum
Selbstkostenpreise ablassen. Um den einzelnen Handwerker kreditfähig zu machen,
gründete er Vorfchnßvereine. (Um dieselbe Zeit schuf der Bürgermeister Reiff-
eisen bäuerliche Genossenschaften, damit der Bauer sich dieselben wirtschaft¬
lichen Vorteile verschaffen konnte wie der Großgrundbesitzer.)
c) Staatshilfe. Aber alle solche Hilfe genügte nicht für die Nöte der hand¬
arbeitenden Klaffen. Auch waren es meist Wohltaten, keine Rechte für den
Bedürftigen. Allmählich kam die Erkenntnis, daß der Staat für die wirtschaftlich
Schwächeren sorgen muß, damit er gesunde und zufriedene Bürger hat. Kaiser