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Amt des Oberfeldherrn mit unumschränkter Vollmacht zuerkannt. Um sich von
jedem Verdachte wegen des Hermenfrevels gänzlich zu reinigen, geleitete er
fahrend des Festes der eleusinischen Mysterien den Zug der Bürger an der
feindlichen Zwingburg Dekeleia vorüber uach Eleusis. So groß war der
Zauber feiner Persönlichkeit, daß er wieder der Liebling seines Volkes wurde.
'Nun schien er erreicht zu haben, was er wünschte, seine Eitelkeit konnte kaum
mehr verlangen. Aber das Glück dauerte nur kurze Zeit. Als er nach viermonat-
Itchem Aufenthalte in Athen zur Flotte zurückkehrte, mußte er schon die Vor¬
zeichen dev sähen Wechsels gewahr werden. In Sardes war ein neuer Statt¬
halter angekommen, Cyrus der Jüngere, der Sohn des Großkönigs. War
dieser schon an und für sich den Athenern nicht hold, weil er sie als die Erb¬
feinde des Perserreiches betrachtete, so wurde er darin noch mehr bestärkt durch
den neuen spartanischen Feldherrn Lysander. Dieser merkwürdige Mann
gehörte von Vaters Seite dem vornehmsten Geschlechte Spartas, den Heraklideu
an, aber von seiner Mutter, die eine Fremde oder wohl gar eine Helotin war,
hatte er nur Armut und Niedrigkeit geerbt. Dennoch traute er sich zu, durch
eigne Kraft den Weg zum Königtum, ja zur Alleinherrschaft in Sparta zu
finden. Mit dem Stolze des Spartaners verband er die List des Sklaven, an
die Löwenhaut des Herakles, sagte er, muß man im Notsalle den Fnchsbalg
hängen. Er hatte es schon weit gebracht, gleichwohl meinte er erst am Anfange
feiner Laufbahn zu stehen. Mit dem Statthalter Cyrus stand er bald auf so
gutem Fuße, daß dieser einen neuen Vertrag mit ihm abschloß, in welchem er
den Spartanern den höchsten Sold zusicherte. Zugleich schuf er eine neue
Flotte und stand in kurzer Zeit den Athenern voll ausgerüstet gegenüber. Auch
die letzteren batten gehofft, mit persischem Gelde den Krieg weiter führen zu
können. Alkibiades war mehrmals nahe am Ziele gewesen, aber jefjt war
keine Aussicht dazu vorhanden: Athen sollte wider seinen Willen wenigstens
Don dieser öchmach frei bleiben. Der Mißerfolg der Unterhandlungen mit
Persien erschütterte zunächst am meisten die Stellung des Alkibiades. Denn die
Gegner desselben waren während seiner Abwesenheit mehr als je thätig,
das Mißtrauen der Bürgerschaft gegen ihn wach zu rufen. Als nun ein Unter-
feldherr, der sich trotz dem ausdrücklichen Befehle des Alkibiades bei Ephesos
in einen voreiligen Kampf mit der peloponnesischen Flotte einließ, eine Nieder¬
lage erlitt und lo schiffe verlor, schoben sie die Schuld dem Oberauführer zu,
der sich nicht um die Flotte kümmere, sondern feinem Vergnügen nachgehe, und
brachten es wirklich in der Volksversammlung dahin, daß er feines Amtes ent¬
setzt wurde. Alkibiades zog sich auf seine Güter nach Thrakien zurück.
Noch einmal lächelte den Athenern das Glück. Auch Lyfauder war nach
Ablauf feines Amtsjahres nicht wieder gewählt worden, ein echter Altspartaner,
der die Abhängigkeit von den Persern als eine Schande betrachtete, hatte die
Führung der Flotte übernommen. Nach mehreren glücklichen Gefechten mit dem athe¬
nischen Flottenführer Konon hatte er diesen bei Lesbos eingeschlossen. Die Athener
boten ihre letzte Kraft auf. 150 neuausgerüstete Schiffe zogen, von 10 Feld¬
herren (Strategen) angeführt, zum Entsätze heran, es kam zur Schlacht bei de»
arginufifchen Inseln (406). Was man in Athen kaum zu hoffen gewagt
hatte, geschah, die athenische Flotte errang einen vollständigen Sieg. Die
Spartaner verloren 70 Trieren, und ihr Feldherr selbst fiel im Kampfe. Der
Jubel in Athen war grenzenlos, die Bürgerschaft gab sich den überschwenglichsten