Bibel, Predigt und Kirchenlied im 15. Jahrhundert. 91 
14. Bibel, predigt und Kirchenlied int 15. Jahrhundert. 
(Nach: Geffcken, Der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts. Leipzig. 1855. @.1—16. 
Hoffmann von Fallersleben, Geschichte des deutscheu Kirchenliedes. Hannover. 1861. 
S. 150-198.) 
Das 15. Jahrhundert ist oft, aber mit Unrecht, gering geschätzt wor¬ 
den. Die unendliche geistige Arbeit dieses Jahrhunderts, auf die allein 
schon die wunderbare Entfaltung der Buchdruckerkunst hinweist, und ohne 
welche der geistige Umschwung des 16. Jahrhunderts unmöglich gewesen 
sein würde, blieb größtenteils unerkannt. Die Wiedererweckung der klassi¬ 
schen Studien von Italien aus, die Entwickelung der Universitäten, die 
Männer, die man Vorläufer der Reformation oder Reformatoren vor der 
Reformation genannt hat, waren es, worauf allein die Aufmerksamkeit sich 
richtete. Aber der Gesichtspunkt „Reformatoren vor der Reformation" ist 
nur ein einzelner, nicht allein berechtigter. Wir treffen im 15. Jahrhundert 
viele Männer an, denen die großen informatorischen Gedanken des 16. Jahr¬ 
hunderts fern lageu, und die doch in ihrer Weise trefflich und nach dem 
Maße ihrer Kräfte eifrig wirkten. Ihre treue Arbeit trug auch eitteu Teil 
dazu bei, eine neue Zeit herbeizuführen. 
Vor allem lastete schwer auf dem 15. Jahrhundert, daß die Bestre¬ 
bungen nach einer wahren Besserung der Kirche an Haupt und Gliedern 
wieder uud immer wieder zurückgedrängt wurden. Mit dem Eintritt der 
Reformation nahm die geistige Strömung der Zeit eine ganz andere Rich¬ 
tung, und wenn der Strom mächtig anschwoll, so konnte es leicht geschehen, 
daß in seinen Wogen gar nicht mehr unterschieden wurde, was doch aus 
den Quellen des 15. Jahrhunderts geflossen war. 
Zu den Vorurteilen gegen das 15. Jahrhundert gehören besonders die 
Meinungen, die Heilige Schrift sei unter den Geistlichen, besonders aber 
unter dem Volke gänzlich unbekannt uud in deutscher Sprache nicht vor¬ 
handen gewesen, es sei wenig oder gar nicht in deutscher Sprache gepredigt 
worden und es habe vor Luther kein deutsches Kirchenlied gegeben. 
Bezüglich der Meinung von der Unbekanntschaft des Volkes mit der 
Bibel hat man einige Äußerungen von Luther und Matthesius, die gewiß 
ihre eigenen Lebenserfahrungen in voller Wahrheit ausdrücken, fälschlich 
dazu benutzt, die Zustände von ganz Deutschland damit zu schildern. Nun 
war aber die Gegend, in ber Luther und Matthesius aufwuchsen, hinter 
anderen Teilen Deutschlands in geistiger Beziehung weit zurück, und die 
Erfahrungen, die ein armer Bettelmönch in seiner Jugend machte, sind noch 
nicht geeignet, den Bildungszustand des ganzen deutschen Volkes zu bezeich¬ 
nen. In den Werken des 15. Jahrhunderts liegen die unzweideutigsten 
Zeugnisse dafür vor, daß eine genauere Bekanntschaft mit der Heiligen 
Schrift bnrchaus keine Seltenheit war. Nehmen wir z. B. Sebastian Braut, 
so würbe wohl in unsern Tagen ein Jurist nicht geringe Aufmerksamkeit 
erregen, wenn er eine so genaue Kenntnis ber Heiligen Schrift zeigte, wie
	        
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