Full text: Der Erbe von Stübeckshorn (1)

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Es ist der alte sächsische Lohengau, in welchem wir 
uns hier befinden. Der Name, welcher in unserer jetzigen 
Sprache etwa jo viel wie „Waldgau" bedeutet, weist 
darauf hin, daß die Gegend hier früher sehr waldreich 
gewesen sein muß. Und in der That finden sich bis auf 
den heutigen Tag noch Spuren des früheren Waldreichtums 
vor. An den Ufern der Böhme und Soltau dehnten 
sich aber auch wohl schon damals liebliche Wiesengründe 
aus, den Anwohnern Futter bietend für ihre Schaf- und 
Rinderherden. 
Es war im Jahre 919. Sieghaft stieg die Frühlings¬ 
sonne am Himmel empor, vergoldete mit ihren Strahlen 
die braune Heide und spiegelte sich in den Wellen des 
Flüßleins, das die Neuern einer noch im Bau begriffenen 
Burg bespülte. Dort, wo die Soltau sich mit der Böhme 
vereinigt, erhob sich das Mauerwerk; über die Umfassungs¬ 
mauer ragte das Dach eines Kirchleins empor, an dessen 
First noch die Werkleute beschäftigt waren. Auch das 
Wohnhaus harrte noch der Vollendung, und nur notdürftig 
waren erst die Räume hergestellt, in denen der Burgvogt 
mit seinen Knechten einstweilen ein Unterkommen gefunden 
hatte. Aber auch in das Gesicht eines Sachsenjünglings 
schien die helle Frühlingssonne, welcher, auf seinen Stab 
gelehnt, dem murmelnden Bache zuschaute, an dessen 
Ufern seine Herde weidete. Es war eine hohe, reckenhafte 
Gestalt. Dichtes, blondes Haar, durch ein Stirnband aus 
dem Gesichte zurückgehalten, fiel in natürlichen Wellen 
über die breiten Schultern herab; die Brust war in ein 
Lederwams gehüllt, welches jedoch die Arme bloß ließ, so 
daß der kräftige Muskelbau des Oberarms deutlich zu 
sehen war; die Schenkel waren mit Beinkleidern aus 
dunkelm Leinenstoff, mit roten Bändern eingefaßt, bekleidet, 
und die Füße staken in Schuhen aus ungegerbten Ochsen¬ 
fellen. Unter der hohen, freien Stirn glänzten zwei 
feurige, blaue Augen, die Nase war etwas gebogen und 
um Mund und Kinn sproßte der erste Flaum. Wer den 
Jüngling so dort stehen sah, der konnte ihm gleich an der 
ganzen Haltung anmerken, daß er nicht ein Leibeigener,
	        
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