Full text: Die Burgfrau von Ahlden (6)

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dringen konnten. Noch einmal ließ sie hier ihre frohe 
Kindheit und Jugend, die mit dem heutigen Tage abge¬ 
schlossen hinter ihr lag, an ihrem geistigen Auge vorüber¬ 
ziehen. Ja, sie hatte viel Liebe empfangen die bisherige 
Zeit ihres Lebens; kaum ein hartes Wort hatte sie ge¬ 
hört, kaum einen unfreundlichen Blick gesehen; sie war 
ein verwöhntes Kind des Glückes vom Tage ihrer Geburt 
an. Mit Wehmut gedachte sie jetzt dieser Zeit und all 
der lieben, guten Menschen, die ihr auf ihrem Lebens¬ 
wege entgegengetreten waren. In erster Linie waren es 
ihre treuen Eltern, der ritterliche, stolze Vater und die 
stets liebevolle, heitere Mutter, die mit sorgsamen Augen 
jeden Schritt ihres einzigen, lieben Kindes bewachten; dann 
die hochgebildete, französische Erzieherin, die ihr den ersten 
Unterricht erteilte, und der alte Hofprediger mit dem 
ernsten, milden Gesicht und der gewaltigen Perrücke, der 
sie einführte in die Wahrheiten der christlichen Religion 
und des lutherischen Bekenntnisses. Und noch viele, viele 
andere Personen, die ihr Gutes erwiesen und Liebe er¬ 
zeigt, traten ihr vor die Seele, bis hinunter zum Stall¬ 
knecht, der ihr, wenn sie mit dem Vater ansreiten wollte, 
ihr Lieblingspferd gesattelt vorführte — und plötzlich ge¬ 
dachte sie auch wieder, seit langer Zeit zum ersten Male, 
des geliebten Jugendgespielen, des Grafen Königsmark. 
Wie war es nur möglich gewesen, daß sie sich seiner nicht 
früher erinnerte? Ach, wie oft hatte, in ihren unschul¬ 
digen, kindlichen Spielen, der ritterliche Knabe ihr gesagt, 
daß sie die Dame seines Herzens sein sollte, wie oft hatte 
er ihr versprochen, sie zu schützen, wenn ihr Gefahr drohte. 
Sie lächelte jetzt, in der Erinnerung, zwar über diese 
Ausbrüche kindlicher Leidenschaft, aber dennoch — gelogen 
hatte Graf Christoph nie, und wenn er jetzt hier weilte, 
gewiß, er würde sein Wort einlösen, er würde jetzt, wo 
es wie die Vorahnung einer nahenden Gefahr auf ihr 
lag, seinen Arm schützend über sie halten und dem Un¬ 
glück wehren, ihr Haupt zu treffen. 
Die Prinzessin ließ sich auf einem Stuhle nieder 
und bedeckte die Augen mit der Hand. Sie konnte ihre
	        
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