162 Das Zeitalter des Absolutismus
seltener Harmonie in sich vereint und in seinem Leben verwirklicht:
Humanität und Idealismus. Alle natürlichen Anlagen und Fähigkeiten
frei entwickeln zu reinster, edler Menschlichkeit und darum zu höchster
sittlicher Kultur, mit frischen Sinnen in der Wirklichkeit zu stehen und
die Allnatur zu erforschen, mit stiller, wärmender Liebe in das Reich der
Ideale hineinzuschauen und zum sittlichen Edelmenschentum zu streben,
ein schöner, freier, guter Mensch zu werden, Körperliches und Geistiges,
Sinnliches und Sittliches in schlichter Einfalt, stiller Größe, unendlicher
Klarheit zu verbinden — das ist seines Lebens Ziel und seines Lebens
Werk. Weit und tief sah er hinein in Natur und Welt und suchte mit
ahnendem Blick in ihrer wechselnden Gestaltung das Ewige und Unver-
gängliche. Breit und reich floß ihm der Strom seines und der Menschen
Leben dahin, und er suchte ihn zu gestalten mit heiterer Weltfreudigkeit,
die sich an der Antike und an der Natur verklärt hatte, mit dem scharfen
und liebevollen Verständnis des Genies für das Seelenleben, wie er es
sich gewonnen in immer neuem Erforschen und Beichten seines eigenen
reichen Lebens, mit ernster frommer Ehrfurcht vor dem Unnennbaren,
Unfaßbaren. „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Er-
sorschliche erforscht zu haben und das Unersorschliche ruhig zu verehren."
So wird der edle, hilfreiche und gute Mensch sein Ideal sittlicher Lebens-
betätigung; nicht im Genuß, nicht in der Kunst, nicht in der Wissenschaft,
sondern nur in der sittlichen Tat und dem Sichopfern für andere
liegt des Menschen höchster Lebenszweck. Nur „wer immer strebend sich
bemüht, den können wir erlösen." „Alle menschlichen Gebrechen sühnet
reine Menschlichkeit."
So entfaltet sich vor uns das Bild einer neuen idealistischen Geistes-
kultur, so reich an duftigen Blüten, kraftvollen Stämmen und vollendeten
Früchten, wie nie zuvor. Das schlafende Dornröschen war wachgeküßt
worden, und in den goldenen Tagen von Weimar öffnete sich weit, breit
und tief der Born deutscher Dichtung, tat sich auf das Ideal einer neuen
Weltanschauung.
Der preußische Staat und die neue Bildung, diese beiden Keime
unserer heutigen Kultur, standen sich in jenen Tagen fremd gegenüber.
Erst als über die Trümmer Jenas machtvoll dahinbranste der Strom
der Ideen, erst als preußische, politisch-militärische Zucht sich vereinte mit
der freien deutschen Bildung, erst da begann das deutsche Volk zu genesen.