Full text: Bilder aus dem Herzogtume Braunschweig für Schule und Haus

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die Dammvorstadt. Dies rechte Ufer bedarf, weil es so niedrig liegt 
eines Schutzes durch Deiche. Aber an dem Unglückstage durch¬ 
brachen die fort und fort steigenden Fluten die Dämme und über¬ 
schwemmten die Dammvorstadt. Zahlreiche Gebäude, Häuser, 
Scheuern und Ställe wurden weggespült oder umgeworfen. Dazu 
riss der Strom sieben Joche der Brücke fort, und nun konnte den 
Abgeschnittenen keine Hülfe mehr gebracht werden. Ja, man 
blieb auch ohne jede Nachricht von ihnen und erzählte sich, dass 
noch Menschen auf Dächern und Thorwegen mit ausgereckten 
Armen, um Rettung flehend, gesehen würden. So konnte es nicht 
an Versuchen fehlen, von der Stadtseite um jeden Preis noch 
Hülfe zu bringen. Einem Schiffer samt zweien Genossen war es 
gelungen, in einem kleinen Kahne das Ufer der Dammvorstadt zu 
gewinnen. Einen anderen Versuch unternahm Herzog Leopold. 
Seit acht Jahren wohnte derselbe als Regiments-Kommandeur 
in Frankfurt. Durch Liebenswürdigkeit seines Auftretens, durch 
seinen Drang, überall zu helfen und wohlzuthun, hatte er sich die 
Liebe aller Volkskreise erworben. Bei jeder öffentlichen Gefahr, 
bei Feuers- und Wassernot war er, allen andern vorauf, thätig 
im Rettungswerke. Als ihn die Nachricht von dem furchtbaren 
Anwachsen der Gefahr traf, eilte er zur Oder und bestieg zweimal 
einen Kahn, um über den Strom zu fahren. Als die Umstehenden 
ihn abmahnten, rief er: „Hier sind Menschen zu retten! Bin ich 
nicht ein Mensch wie sie?“ Gleichwohl aber gab er den dringenden 
Vorstellungen einiger Ratsherren und den fufsfälligen Bitten zweier 
Soldaten seines Regiments nach und trat zurück. 
In trüben Gedanken verliess er den Platz und wandte sich 
heimwärts. Nach Haus gekommen, versuchte er, einen Augenblick 
im Lehnstuhl von den Aufregungen der letzten Stunden auszu¬ 
ruhen. Aber die vor seinem Geiste aufsteigenden Bilder des 
Jammers liessen den Herzog die gewünschte Ruhe nicht finden. 
Als dann bei der Wachtparade von neuem die Gerüchte von dem 
Schrecklichen, was sich drüben zugetragen, auf ihn eindrangen, 
eilte er abermals an den Strom, um überall den Mut der Zag¬ 
haften zu entflammen. Unterdessen hatte sich ein Schiffer ent¬ 
schlossen, die Überfahrt zu wagen, mit ihm zwei Knechte, von 
denen einer Soldat war. Dieser begegnete dem Herzog und bat 
ihn um seine Einwilligung. Mit Freuden erteilte Leopold dieselbe 
und folgte ihm auf dem Fusse nach. Das Beispiel der drei
	        
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