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zu meiden und außerhalb eine Zuflucht zu suchen. Er ging nach
Volkmarode, einem der zu dem Ägidienkloster gehörigen Dörfer, und als
er hier großen Zulauf von Braunschweiger Bürgern hatte, siedelte er
auf die Mahnung seines Abtes zum zweitenmal nach Wittenberg über
Eine Zeit lang schien es, daß die Verbote des Landesherrn und des-
Rates die Bürgerschaft vor weiterem Abfall von der alten Kirche be¬
wahren und die lutherische Neuerung von ihr fern halten würden. Allein
in der Stille mehrte sich infolge der traurigen Verwaltung des Gottes¬
dienstes durch die sogenannten Heuerpfaffen, von den Prälaten zu diesem
Geschäfte gemietete Vikare, die Anzahl der lutherisch Gesinnten in der
Stadt. Man suchte die Erbauung, die man hier nicht zu finden ver¬
mochte, bei den evangelischen Prädikanten der benachbarten Magdeburger
und Lüneburger Gebiete. Auch unter den Hilfspredigern in der Stadt
gab es bereits heimliche Anhänger der neuen Lehre, unter ihnen Heinrich
Lampe, damals an der Michaeliskirche, der dann im Jahre 1526 zum
Prediger an der Magnikirche gewählt wurde. Trotz der Bemühungen
der aus den Prälaten der bedeutendsten Klöster und den Psarrherren
an den Stadtkirchen zusammengesetzten „Union" kam es zwischen diesen
Hilfsgeistlichen und den Vertretern des alten Glaubens zu öfteren Dis¬
putationen auf den Kanzeln. Bisweilen griff das Volk selbstthätig in
diese gelehrten Erörterungen ein. Als Johannes Grove, der katholische
Kollege Lampes an der Magnikirche, seine Predigt mit den Worten be¬
gann: „So sagt Aristoteles im zweiten Buche der Physik," erhob sich
ein Schuster, Haus Becker, lief auf den Turm der Kirche und begann,
„um den Aristoteles zu vertreiben," die Glocke zu ziehen, so daß Grove
genötigt war, Kanzel und Kirche zu verlassen. Immer lauter erhob sich
der Ruf nach Abschaffung des papistischen Gottesdienstes und nach Ein¬
führung der neuen Lehre. Lange widerstand der Rat. Er ließ aus
Magdeburg den gelehrten und eifrigen katholischen Doktor Sprengel, der
sich gerühmt hatte, „mit drei Predigten in Braunschweig alle lutherische
Ketzerei stürzen und ausrotten zu wollen," kommen, damit er dem über¬
hand nehmenden Abfalle entgegenwirke. Allein schon gingen die Leiden¬
schaften zu hoch, als daß dies noch hätte mit Erfolg geschehen können.
Als Sprengel am 22. Sonntage nach Trinitatis in der Brüdernkirche
über das Evangelium vom bösen Schuldknechte predigte und, sich auf
eine Stelle im Briefe Petri berufend, die Verdienstlichkeit der guten
Werke verteidigte, erhob sich ein wahrer Sturm in der Gemeinde. „Herr
Doktor, ihr führt den Spruch nicht recht an," „Herr Doktor, hier steht
es anders geschrieben," „Das sind Lügen!" schrie man ihm von allen
Seiten entgegen. Zugleich stimmte die Gemeinde das lutherische Lied
au: „Ach Gott, vom Himmel, sieh darein," und machte damit der Pre-
ilJoo C*n ®n^c' Diese und ähnliche Vorgänge bestimmten im März
1528 bte Gildemeister und Hauptleute sämtlicher Weichbilde zu einem
Antrage bei bem Rate, die evangelische Lehre durchweg einzuführen und
zu diesem Zwecke Heinrich Winkel, einen Lieblingsschüler Melanchthons,
von Halberstabt nach Braunschweig zu berufen. Zögernb unb ungern
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