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5. Was im 15. und 16. Jahrhundert im Kunsthandwerke geleistet
wurde, ersehen wir am besten, wenn wir im Geiste ein vornehmes Patrizier¬
haus betreten. Es ragt in der engen Straße mehrere Stockwerke hoch mit
mächtigem spitzen Giebel. Die Straßenseiten sind mit Steinbildwerk und
vorspringenden Erkern, die Balken mit Schnitzereien verziert. Über der
gewölbten Haustür, die mit messingenem Beschläge und Klopfer geschmückt
ist, prangt ein frommer Spruch. Die bemalten Scheiben der kleinen
Fenster lassen nur wenig Licht in die engen, traulichen, mit Holz getäfelten
Zimmer fallen. Im Winter verbreitet der große Kachelofen behagliche
Fig. 14. Der Marktplatz zu Zerbst; im Hintergründe das Rathaus und die Nikolaikirche.
Wärme. Besonders prächtig erscheint das Prunkgemach des Hauses. Da
steht in der Ecke ein schön geschnitzter Betstuhl mit dem Kruzifixe darüber.
In Prachtschränken und Truhen glänzen schweres Silbergeschirr, Kannen,
kunstvolle Becher und Schüsseln. Die schönsten Gebäude pflegten am
Marktplatze zu stehen. Hier fiel besonders das stattliche Rathaus in die
Augen. Vor allem ist der Marktplatz von Zerbst (Fig. 14) hervor¬
zuheben. Noch heute versetzt er den Beschauer in die Zeit altdeutschen
Bürgertums zurück. Man meint, die ehrsamen Ratsherren zu sehen, wie
sie von den vornehmen Patrizierhäusern zum Rathause schreiten, oder die
Prozessionen, wie sie mit frommen Gesängen, Weihkerzen und Kirchenfahnen
einherziehen, oder die Schützengilde, wie sie armbrustbewehrt unter Sang
und Klang und Volksjubel zum festlichen Wettschießen hinausmarschiert.
Da schaut man noch den altehrwürdigen steinernen Roland an derselben