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Hoffnung und glaube nicht an ihre Gefahr. Wie zerrissen
aber sein Inneres war, sieht man aus den wenigen Worten,
die er der Großmutter erwiderte, als sie ihn tröstend erinnerte,
daß noch der Athem und folglich die Hoffnung da sei und
Gottes Allmacht nichts unmöglich. Ach, sagte er, wrenn sie
nicht mein wäre, würde sie leben; aber da sie meine Frau ist,
stirbt sie gewiß! — Die verhängnisvolle Stunde nahte. Die
Familie wrar in den Zimmern der Königin versammelt. Der
König hielt ihre rechte Hand, die Prinzessin Solms, kniend
auf der ändern Seite, hatte ihre linke ergriffen, die drei Ärzte,
Heim, Hieronymi und Göricke, umstanden das Bett. Da
beklagte sich die Königin über Mangel an Luft, und Hiero¬
nymi riet ihr, die Arme auszubreiten und höher zu legen.
Sie erwiderte: Das kann ich nicht! -— und der Arzt kam ihr
zu Hilfe. Einen Augenblick ließ sie die Arme in dieser Lage,
dann senkte sie sie schnell herab und sagte: Auch das hilft
nicht! Für mich ist nur Ruhe im Tode. —
Nach einer kurzen Weile rief sie aus: Herr Jesus, mach"
es kurz! — atmete noch einmal auf und verschied. Gott
forderte ihre Seele sanft zurück, und die schöne Hülle blieb
ruhig, unentstellt, wie eine Heilige im tiefen Schlafe, zurück.
Der König war zurückgesunken, raffte sich aber wieder auf,
küßte den geliebten Mund und drückte die Augen, seines
Lebens Sterne, die ihm auf seiner dunkeln Bahn einzig treu
geleuchtet, auf ewig zu.
Einige Minuten lang war alles still, dann überließ sich
ein jeder seinem Schmerz auf seine eigene Weise; doch keiner
entweihte das geheiligte Andenken durch wilde, leidenschaft¬
liche Ausbrüche der Verzweiflung. Die Klage war der zum
Himmel entschwebten reinen, stillen, frommen Seele würdig.
Als der König und der Herzog sich zuerst erblickten,
fielen sie sich in die Arme und hielten sich lange umfaßt; sie
fühlten wohl, daß ihrem Herzen die tiefste, unheilbarste
Wunde geschlagen war.
Georg-Eckert-Instltut
für i.'t' ,-ationale
Schulbuchforschung
Braunschweig
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