fullscreen: Charakterbilder aus der Geschichte der alten und beginnenden neuen Zeit (Bd. 1)

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Seine Verdienste um die Naturwissenschaften und Philosophie. 
das bis dahin Erlebte und Gewonnene. Die Schöpfungen des frühern hellenischen Geistes 
wurden in frischer Anschauung aufgefaßt; zugleich wurden die Griechen durch den welthifto- 
tischen Aufschwung der makedonischen Macht kräftig augeregt. Die persönliche Stellung des 
Aristoteles mußte einem so ausgezeichneten Geiste offenbar vielfältige Gelegenheit, Anregung 
und Erleichterung gewähren, die wichtigsten Erscheinungen und Zustände seiner Zeit in der 
Gesellschaft, in der Wissenschaft und Kunst genau kennen zu lernen uud sehte Beobachtungen 
zu verarbeiten. Aristoteles hat nicht wenig dazu beigetragen, daß die mathematischen Wissen- 
schaffen in der nächstfolgenden Zeit aufblühten und mit Erfolg betrieben wurden. Auf seinen 
logischen Untersuchungen beruht das Gebäude der Mathematik, welches nach ihm errichtet 
wurde. Er hat zwischen Mathematik und Naturphilosophie, mit welcher jene innig verbunden 
war, eine bestimmte Grenzlinie gezogen, die Mathematik in reine nnb angewandte geschieden, 
die Arithmetik von der Geometrie getrennt und die angewandte Mathematik, namentlich die 
Mechanik, Statik und Optik, zum Range von Wissenschaften erhoben. Die Chemie, Physik 
und theoretische Astronomie, für welche noch nichts geleistet worden war, schuf er fast ganz 
neu. Die Schriften endlich, in welchen er die Erscheinungen und Gesetze der Natur zu er¬ 
klären suchte, haben allein die Bemühungen nach der Erkenntnis derselben in den nächstfol- 
genden Jahrhunderten angeregt. — Den Naturwissenschaften gab er nicht nur durch feine 
tiefsinnigen und größtenteils neuen Untersuchungen und ihre Resultate eine philosophische 
Grundlage, sondern er zeigte auch zuerst den Weg einer umfassenden und genauen Beob- 
achtuug und wissenschaftlichen Forschung. Er war der Schöpfer und Begründer der Zoologie 
und Anatomie. Und wenn er auch durch die Freigebigkeit der Könige Philipp und Alexander 
bei seinem Sammeln und Untersuchen auf die großartigste Weise unterstützt wurde und Vor- 
arbeiten auf diesem Gebiete nicht fehlten, so bleibt doch, wenn man auf die Schwierigkeit 
und Größe der Leistungen sieht, was Aristoteles erreicht hat, ein Gegenstand gerechter Be¬ 
wunderung. Nicht minder ist er als Gründer der wissenschaftlichen Botanik anzusehen, wenn 
auch sein Schüler Theophrast durch ausführlichere und mehr praktische Behandlung in dieser 
Wissenschaft sich einen größeren Namen erworben hat. 
Die größten Verdienste erwarb sich Aristoteles um die Philosophie. Er hat die Logik 
zu einer vollendeten Wissenschaft ausgebildet, die seit ihm keine wesentliche Verbesserung mehr 
erfahren hat. Außer dem rein philosophischen Zwecke hatte er dabei auch die Bildung für 
das Staatsleben im Auge. Er betrachtete diese Wissenschaft als die Grundlage, auf welcher 
die weitere Ausbildung des Redners beruhe. Darum verfaßte er hierfür besondere theoretische 
Schriften und wurde der eigentliche Schöpfer ber Rhetorik. Zwar fehlte es seit Korax von 
Syrakus nicht an zahlreichen Schriften über die Kunst der Beredsamkeit; allein sie enthielten 
nur eine Aufzählung praktischer Vorteile oder waxen einseitig auf die Lehre von den Teilen 
einer Rebe und vom Ausdruck oder vorzugsweise auf die gerichtliche Beredsamkeit gerichtet. 
Aristoteles begründete zuerst wissenschaftlich die Lehre von der Auffindung des Stoffes und 
von den Beweisen und umfaßte alle Gattungen der Beredsamkeit. Er ist ferner der Schöpfer 
der Theorie der Dichtkunst und der Kunstphilosophie überhaupt. Das schon von Plato 
aufgestellte Prinzip ber fchönen Kunst, bie Nachahmung, behielt er bei, faßte aber basfelbe in 
einem eigenen Sinne auf unb führte es mit bewunberuugswürbigem Scharfsinne in der Er- 
kläruug und Beurteilung der einzelnen Gattungen und wichtigsten Erzeugnisse der griechischen 
Poesie durch. Seine Lehre vom potentiellen und aktuellen Sein, die er mit der pythagoreisch- 
platonischen Lehre von Stoff und Form verschmilzt, gestaltet er zu einer Ontologie aus, wie 
sie keiner seiner Vorgänger besessen. Seine Begriffspaare und Daseinselemente, Entelechie 
oder Form und Potenz oder Stoff, erschlossen ein überaus weites Gebiet der Anwendung.
	        
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