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diese schöne Leiche ansah, erinnerte das Gedächtnis unwill¬
kürlich an den Anfang des CCCVIII. Sonettes von Petrarca:
Xon puö far morte il dolce viso amaro,
ma’l dolce viso dolce puö far morte1).
Nach einigen Stunden kamen die Prinzeß Charlotte2)
und der Prinz Karl3), ihr Bruder, und im tiefsten Schmerz
knieten sie an dem Leichenbett ihrer himmlischen Mutter,
als wollten sie um ihren mütterlichen Segen sie noch an¬
flehen.
Die Leiche der Königin blieb noch sechs Tage in Hohen-
Zieritz, während welcher Zeit ihr Leichenzimmer der einzige
Zufluchtsort gegen den herben Schmerz war, welcher alle,
die ihr angehörten, ergriffen hatte. Noch war sie ihnen nicht
ganz entrissen, und die unbeschreibliche Verklärung, die auf
ihr ruhte, erhob das Gemüt und beruhigte es.
Den 25. Juli, morgens nach 4 Uhr, gerade einen Monat
nachdem sie blühend nach Strelitz gekommen war, wurde
sie von Hohen-Zieritz auf dem nämlichen Wege, der sie hin¬
geführt hatte, als Leiche weggeführt. Es war in dem Augen¬
blick, wo die Sonne in vollem Glanze aufging: so schien die
Pracht der Sonne, indem die irdischen Überreste der Königin
der Erde anvertraut werden sollten, die Glorie anzudeuten,
die im Himmel ihren Geist umgab. Aber die Zurückgeblie¬
benen sahen vor sich wie in eine finstere Nacht: ihnen war
die Sonne ihres Lebens, zu welcher eine unendliche Liebe sie
anzog und um die sie sich bewegten, verschwunden; nur ein
J) Nicht läßt bitter der Tod ein mildes Antlitz erscheinen,
Sondern im milden Gesicht zeigt sich auch milde der Tod.
2) Geb. 1798, später als Alexandra Feodorowna die Ge¬
mahlin des Zaren Nikolaus I., gest. i860.
3) Geb. 1801, bekannter späterer Heerführer, gest. 1883.
— Die jüngeren Kinder waren Alexandrine, nachmals
Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin, Luise, spätere
Gemahlin des Prinzen Friedrich der Niederlande, sowie der erst
im Oktober 1809 geborene Prinz Albrecht (gest. 1872).
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