Thronrede Wilhelms II. bei der Feier des 25jährigen Reichsjubiläums. 415
183. Thronrede Kaiser Wilhelms II. bei der Feier des
25jährigen Reichsjubiläums am 18. Januar 1896.
Klaußmann, Kaiserreden. Leipzig, Weber. 1902. S. 130.
Bei der im Weißen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin abgehaltenen
Jubelfeier verlas der Kaiser solgende Thronrede:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von
Preußen usw., tun kund und fügen hiermit zu wissen:
Nachdem fünfundzwanzig Jahre verflossen sind seit dem Tage, an dem
Unseres in Gott ruhenden Herrn Großvaters Majestät der einmütigen Auf¬
forderung der deutschen Fürsten und Freien Städte und dem Wunsche der
Nation entsprechend die deutsche Kaiserwürde angenommen hat, haben Wir
beschlossen, das Gedächtnis dieses denkwürdigen Ereignisses feierlich zu be¬
gehen, das dem langen Sehnen des deutschen Volkes endliche und glänzende
Erfüllung brachte und dem wiedererrichteten Reiche die Stellung schuf, die
ihm nach seiner Geschichte und kulturellen Entwicklung inmitten der Völker
des Erdreichs gebührt.
Wir haben dazu die Bevollmächtigten Unserer hohen Verbündeten
und die Vertreter des Volkes sowie diejenigen Männer entboten, die in
jener großen Zeit an dem Werke der Einigung der deutschen Stämme
hervorragend mitgewirkt haben.
Umgeben von den Fahnen und Standarten ruhmreicher Regimenter,
den Zeugen des Todesmutes Unserer Heere, die an jenem Tage den ersten
Deutschen Kaiser grüßten, erinnern Wir Uns tiefbewegten Herzens des
erhebenden Bildes, das das in seinen Fürsten und seinen Völkern geeinte
Vaterland den Zeitgenossen bot.
Im Rückblick aus die verflossenen fünfundzwanzig Jahre fühlen Wir
Uns zunächst gedrungen, Unserem demütigen Danke gegenüber der göttlichen
Vorsehung Ausdruck zu geben, deren Segen sichtlich auf dem Reiche und
seinen Gliedern geruht hat.
Das bei der Annahme der Kaiserwürde von Unseres unvergeßlichen
Herrn Großvaters Majestät abgegebene und von seinen Nachfolgern an der
Krone übernommene Gelöbnis, in deutscher Treue die Rechte des Reiches
und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit
Deutschlands zu stützen und die Kraft des Volkes zu stärken, ist mit Gottes
Hilfe bis dahin erfüllt.
Von dem Bewußtsein getragen, daß es berufen fei, niemand zuliebe
und niemand zuleide im Rate der Völker seine Stimme zugunsten des
Friedens zu erheben, hat das junge Reich sich ungestört dem Ausbau feiner
inneren Einrichtungen überlassen können.