Full text: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für katholische Präparandenanstalten

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die ganze sichtbare Welt eine große heilige Schrift, ganz voll von Bildern, 
Parabeln, Gleichnissen und anderen Lehrstücken. Alle Dinge, die man sieht, 
haben ihre schöne und tiefe Bedeutung. Die Sterne am Himmel, die schöne 
weiße Wolke in dunkelblauer Luft, das Abendrot, der Sturmwind und das leise 
5 Wehen des Blütenduftes am Frühlingsmorgen, das Feuermeer der Sommersonne 
und das stille Funkeln der Sterne in klarer Winternacht, das Donnern eines 
schwarzen Gewitters und das heimliche Zirpen der Grille hinter dem Ofen: 
alles das will mehr noch sagen, als nur was man mit den Ohren dran hört 
und mit den Augen dran sieht. 
10 Und der dunkle Bergwald und die hohe Eiche, der Pappelbaum am Mühl¬ 
bach, die Dornhecke, der Rebstock und das Kornfeld, die Blumen des Feldes 
und der Kleeacker, das freundliche Veilchen und die duftige Rose: das alles 
ist nicht bloß zur Nutznießung da und zum Vergnügen der Leute, es sind auch 
Buchstaben von einer geheimen wunderbaren Schrift, von Gott geschrieben, und 
15 sind Gottesgedanken drin verborgen. 
Und das Reh mit seinen sanften Augen, die Nachtigall im Wald am 
Rhein, die Kröte im Moosgraben, der Hornschröter, die Blindschleiche, das 
Spiel der feinen Schnaken über dem Altwasser; ja all diese und die anderen 
Tiere und Tierlein sind nicht bloß auf der Welt, daß sie essen und trinken 
20 und wachsen und zuletzt umfallen und sterben und jählings selber gefressen 
werden — sie sind lebendige, wandelnde und fliegende Schriftzeichen des 
Schöpfers. Unser Herrgott hat sie an die Tafel der Welt geschrieben, bevor 
es Menschen gab, damit, wenn diese kämen, sie gleich daran buchstabieren und 
lernen könnten; wie ein braver Schullehrer auch schon sein Sach' an die Tafel 
25 schreibt, bevor die Kinder in die Schule kommen, damit sie gleich anfangen 
können, wenn sie einmal da sind. 
Aber die Menschen haben den rechten Sinn und das rechte Verständnis 
durch die Sünde verloren und gaffen wie blödsinnig und blindlings die 
Natur an in ihren wunderbaren Gebilden, oder besehen sie auch gar nicht und 
30 meinen, es sei nur alles auf der Welt zum Essen und Trinken, zum Benutzen 
und Verbrennen. Weil also alles Verständnis und die rechte Auslegung ver¬ 
loren gegangen ist, darum hat auch Gott seinen Sohn, den Lehrer der Welt, 
geschickt, „durch den alle Dinge gemacht sind, und ohne den nichts gemacht ist". 
Dieser hat uns wieder Anleitung und Unterweisung gegeben und hat uns wieder 
35 buchstabieren gelehrt und hat einiges selber ausgelegt und ins rechte Licht ge¬ 
setzt, wie es gemeint und zu verstehen ist.
	        
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