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und diente dazu, daß dieser sich immer weiter entwickelte. Die Zahl der
deutschen Handelsschiffe beträgt heute etwa 4000, und etwa 120000 Handels¬
schiffe laufen jährlich in den deutschen Häsen ein und aus.
Der gewaltige Aufschwung der Industrie und des Handels brachte eine
große Verschiebung in der Bevölkerung zu stände, die, wie schon erwähnt,
in den langen Friedensjahren bedeutend gewachsen war. (Der Deutsche Bund
zählte 1850 36 Millionen, das Deutsche Reick 1900 56 Millionen Einwohner.)
Die Großindustrie brauchte Hunderttausende von Arbeitern. Deshalb wandten
sich Tausende und Abertausende aus dem Bauernstande der Fabrik- und
sonstigen Großindustriearbeit zu. Alle diese Leute vermehrten rasch die
Bevölkerung der großen Städte und der Jndustriebezirke, und dem Lande,
dem Bauerngebiete wurden dadurch die Arbeitskräfte entzogen.
Dadurch geriet bei dem gleichzeitigen Aufschwung der Industrie auch
der gewerbetreibende Stand in eine üble Lage. Die Handwerker konnten
schon bisher nur schwer neben der Konkurrenz der Fabrikanten und ihrer
Maschinen bestehen. Durch die Verkündigung der vollen Gewerbefreiheit
wurde die Konkurrenz noch größer. Diejenigen Geschäftsleute, die Geld
(Kapital) hatten, brachten ihr Geschäft in die Höhe, wurden „Unternehmer",
arbeiteten ebenfalls mit Maschinen. Diejenigen, die kein Kapital hatten,
mußten froh sein, sich so durchzuschlagen, oder sie schafften für den Unternehmer,
oder aber sie verarmten und gingen auch unter die Fabrikarbeiter. So
schied sich das Gewerbe in Großgewerbe mit und Kleingewerbe ohne Ma¬
schinen, die beide neben der Großindustrie fortbestanden. Nur die Näh¬
maschine ist auch der kleinen Leute Eigentum geworden.
Durch die Hebung von Handel und Industrie wurde auch das Geld¬
geschäft zur Blüte gebracht. Einzelne unternehmende Leute oder Gesell¬
schaften, die sich gebildet und zusammen Geld aufgebracht hatten (Aktien¬
gesellschaften), gründeten Fabriken, bauten Eisenbahnen, trieben Handel,
kauften und verkauften Grundstücke usw. und wurden dadurch schwer reich.
Besonders nach dem deutsch-französischen Kriege, als durch die vier Milliarden
mehr Geld ins Land und in Umlauf kam, wurde die Spekulation ungeheuer.
Auch Tausende von weniger bemittelten Bürgern nahmen daran teil, indem
sie den Unternehmern ihre Ersparnisse gegen hohe Zinsen oder Gewinnbetei¬
ligung zur Verfügung stellten. Jeder wollte rasch reich werden. Dadurch
begann an der Börse ein reger Handel mit Aktien. Mit einem Male aber
kam der „Krach", wie man es nannte. Eine große Zahl von Unternehmern
hatte sich verspekuliert. Die Unternehmungen waren angelegt worden, aber
sie hatten sich nicht rentiert. Das Geld war ausgegeben, aber es kam nichts
ein. Die Aktien wurden wertlos; eine Menge Banken stellte ihre Zahlungen
ein. Tausende wurden bankerott, und lange dauerte es, bis sich die betro¬
genen und verarmten Leute wieder erholten. Vielen war überhaupt nicht
mehr zu helfen.
III. Die gesellschaftlichen Verhältnisse und die gesellschaftlich -
wirtschaftlichen Reformversuche.
Der ungeheure Aufschwung, den die Fabriktätigkeit genommen hatte,
sollte mit der Zeit wie für die Kleinhandmerker, so noch mehr für die Arbeiter-