Full text: Vom Kurhut bis zur Kaiserkrone

dunff finden wir die Sage in einem Gedichte Eduard Bauernfelds, mit 
Ö 0 
dem wir unsere Skizze schliessen wollen: 
Das Totenkemdchen. 
Starb das Kindlein. 
Ach, die Mutter 
Sass am Tag und weinte, weinte, 
Sass zur Nacht und weinte, 
Da erscheint das Kindlein wieder, 
In dem Totenhemd so blass, 
Sagt zur Mutter: ,,Leg’ Dich nieder! 
Sieh, mein Hemdchen 
Wird von Deinen lieben Thränen 
Gar so nass, 
Und ich kann nicht schlafen, Mutter!“ 
Und das Kind verschwindet wieder, 
Und die Mutter weint nicht mehr. 
75. Die Mutter und das Kind. 
Von Ad. v. Chamisso. 
A. a. 0. 1. Teil, S. 130. 
1. Wie ward zu solchem Jammer 
Der stolzen Mutter Lust? 
Sie weint in öder Kammer, 
Kein Kind an ihrer Brust; 
Das Kind gebettet haben 
Sie in den schwarzen Schrein 
Und tief den Schrein vergraben, 
Als müsst’ es also sein. 
2. Wie da die Erde, fallend 
Auf den versenkten Sarg, 
Ihn dumpf und schaurig schallend 
Vor ihren Augen barg, 
Hat Thränen sie gefunden, 
Die nicht zu# hemmen sind, 
Sie weint zu allen Stunden 
Um ihr geliebtes Kind. 
3. Wann andrer Lust und Sorgen 
Der laute Tag bescheint, 
Weilt schweigsam sie verborgen 
In finstrer Klaus' und weint; 
Wann andrer Schmerzen lindert 
Die Nacht, und alles ruht, 
Vergiesst sie ungehindert 
Der Thränen bittre Flut. 
4. Wie einst sie unter Thränen 
Die stumme Mitternacht 
In hoffnungslosem Sehnen 
Verstört herangewacht, 
Sieht wunderbarer Weise 
Das Kindlein sie sich nah’n; 
Es tritt so leise, leise, 
Es sieht sie trauernd an. 
5. 0 Mutter, in der Erden 
Gewinn’ ich keine Rast; 
Wie sollt’ ich ruhig werden, 
Wenn Du geweinet hast? 
Die Thränen fühl’ ich rinnen 
Zu mir ohn’ Unterlass, 
Mein Hemdlein und das Linnen, 
Sie sind davon so nass. 
6. 0 Mutter, lass Dein Lächeln 
Hinab ins feuchte Haus 
Mir laue Lüfte fächeln, 
Dann trocknet’s wieder aus; 
Und scheinet Deinem Kinde 
Dein Auge wieder klar, 
Umblühn es Ros’ und Winde, 
Wie sonst es oben war. 
7. 0 weine nicht! sei munter! 
Was helfen Thränen Dir? 
Komm lieber doch hinunter 
Und lege Dich zu mir; 
Da magst Du leise kosen 
Mit Deinem Kindelein, 
Du liegst auf weichen Rosen 
Und schläfst so ruhig ein.
	        
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