Full text: Vom Kurhut bis zur Kaiserkrone

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davon zum Essen zu finden. Die Regierung, welche durch 
diesen Vorfall, der sich nicht wiederholen durfte, ein wenig er¬ 
schüttert wurde, hatte feierlich erklärt, daß man im Überfluß mit 
Korn versehen sei, und daß das Brot, was auch vorkommen möge, 
niemals in Rationen eingeteilt werden würde. Das war eine Unklug¬ 
heit, wie es sich im Laufe der Ereignisse erwies; denn es wäre besser 
gewesen, man hätte die Maßregel, das Brot in Rationen einzuteilen, 
vom ersten Tage an ergriffen, was unsere Widerstandskraft um einen 
guten Monat verlängert hätte. Man wird niemals genau erfahren, 
wie entsetzlich das Mehl verschleudert wurde. Man gab den Pserden 
davon, weil es weniger teuer war, als Heu und Hafer. Man 
verwandte es zu Biskuits, welche jeder in seinem Schrank 
verwahrte, um gegen die Hungersnot geschützt zu sein, und als 
ein Verbot gegen die Biskuitfabrikation erlassen wurde, gab es keine 
Haushaltung, die nicht doppelt so viel Brot einkaufte, als sie 
eigentlich nötig hatte; man schnitt es in seine Scheiben und ließ 
es rösten, um es alsdauu aufzubewahren. Man hätte bedenken 
sollen, daß dies nutzlose Vorräte seien; denn wenn der Haupt- 
Vorrat von Lebensmitteln einmal erschöpft war, dann mußte man 
sich doch wohl ergeben, und die Kapitulation schloß die umgehende 
Wiederproviantiernng in sich. Aber die Furcht überlegt nicht. 
Man hatte die Drohung des Herrn von Bismarck sehr ernst ge¬ 
nommen, welcher Europa mitgeteilt hatte, daß, wenn Paris sich 
einmal ergeben habe, er sich nicht damit befassen würde, es wieder 
zu proviantieren, und daß er die französische Regierung dafür 
verantwortlich mache, wenn vier- bis fünfhunderttausend Menschen 
aus den Straßen Hungers sterben würden. So schöpfte jeder mit 
vollen Händen aus dem Reservefonds des Staates, und man be¬ 
hauptet, daß der Verbrauch des Mehls sich fast verdoppelt hatte. 
Als man zu der notwendigen Maßnahme der Verteilung in 
Rationen schreiten mußte, war es zu spät. Man gab nicht mehr als 
dreihuudert Gramm Brot für den Kopf und den Tag. Dreihundert 
Gramm! Als ob es möglich gewesen wäre, mit dreihundert 
Gramm Nahrung leben zu können! lind was für Brot! Großer 
Gott! Dasjenige, was wir in den letzten Tagen der Belagerung 
gegessen haben, war eine schwärzliche und klebrige Zusammensetzung 
von unnennbaren Dingen, zu der alles verwendet wurde, allerdings 
anch Korn. Nicht wenige von uns haben ein Stückchen davon auf¬ 
bewahrt als Muster uud Andenken an die Belagerung. 
Es klingt fast unglaublich, daß über die Hälfte der Bevölkeruug 
nichts anderes aß, als diesen schweren klumpigen Teig! Das Brot, 
welches man im Dezember und bis zu den ersten Tagen des Januar 
austeilte, war von grauer Farbe, aber sehr appetitlich; und mit jener 
Leichtigkeit des Parisers, jedes Elend heiter zn ertragen, biß man
	        
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