fullscreen: Geschichte der neuesten Zeit (Teil 4)

46 Das Napoleonische Kaiserreich und die Befreiungskriege. 
7. Bisher hatte jede Provinz, ja einzelne Teile einer Provinz ein 
abgesondertes Dasein geführt, die andern Provinzen und Landesteile als 
Ausland betrachtet und behandelt; einige hatten sogar eigene Ministerien: 
jetzt wurde das Gefühl der Zusammengehörigkeit in allen ge- 
weckt; das gelang um so besser, als seit dem Tilsiter Frieden Preußen 
nur noch aus den vier alten Provinzen Friedrichs des Großen bestand, 
die schon fester miteinander verwachsen waren. Die Verteidigung des 
Vaterlandes betrachteten die verschiedenen Stände bisher als die Aufgabe 
des Heeres, die sie nichts angehe: jetzt lernte jeder sich als den mitberufenen 
Schützer seines Landes ansehen. 
8. .Körperliche und geistige Bildung zugleich sollte das preußische 
Volk erneuern. Für den Turnvater Jahn wurde auf der Hasenheide 
unweit Berlins ein Turnplatz errichtet; Schillers und Goethes Freund 
Wilhelm von Humboldt, der Bruder des Naturforschers, gründete 
als Kultusminister die Universität Berlin, die bald der Sammel- 
punkt der charaktervollsten Gelehrten und Lehrer Deutschlands wurde; 
der Theologe Schleiermacher, der die Unabhängigkeit des Denkens 
und Forschens von kirchlichen Vorstellungen und Vorschriften lehrte; der 
Philosoph Fichte, der, fast umringt von französischen Bajonetten, seine 
flammenden „Reden an die deutsche Nation" hielt, um unser Volk zu 
lehren, was deutsch sei; der Geschichtsforscher Niebuhr, der an der 
Römischen Geschichte zeigte, wie Sagendichtung und Geschichte zu unter- 
scheiden sind: sie alle wirkten an der neuen Hochschule. 
Durch die Anordnung einer wissenschaftlichen Prüfung, worin die Be- 
fähigung zum Unterricht an höheren Schulen zu erweisen war, ist 
W. v. Humboldt auch der Begründer des modernen Gymnasiums und 
des Oberlehrerstandes geworden. 
Da alle Kräfte geweckt werden sollten, wurden auch die Juden 
Staatsbürger. Sie mußten daher Familiennamen annehmen: nur christ- 
liche Vornamen durften sie nicht führen; bis auf die Staats- und Offiziers- 
ämter sowie das höhere Lehramt wurden ihnen alle Berufe geöffnet. 
9. So lernten alle Preußen und weiterhin alle Deutschen das schöne 
Wort Steins auf sich beziehen: „Es gibt nur ein Vaterland, das heißt 
Deutschland, und ich bin nur ihm von ganzem Herzen ergeben." 
Schon lebte auch der Schlachtenmut wieder auf: die Bürgerschaft 
und die leitenden Männer des Staates waren schon im Jahr 1809 bereit, 
sich am Kriege gegen Napoleon zu beteiligen, und der König sagte zu 
einem Abgesandten des Kaisers Franz: „Wenn ich nicht höhere Pflichten 
hätte, ich dächte wie sie." 
Napoleon, dem diese Stimmung nicht entging, peinigte das unglück- 
liche Preußen durch heftige Einforderung der Kriegsentschädigung; um ihn
	        
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