Erzählungen.
P a r 3 i v a I.
Königin Herzeloide trug bitteres Leid. 3m fernen Morgen-
lande war ihr lieber Herr und Gemahl im Kampfe gefallen, getroffen
von der harten Spitze eines Speeres. Darum beschloß sie, ihr kleines
Knäblein in tiefer Einsamkeit aufzuziehen, fern von allem Rittertum.
Also brach sie mit ihren Getreuen aus und wohnte fortan im stillen
Wald Soltane. )hre Leute rodeten den Wald und bebauten das
Feld und allen gebot die Königin, vor ihrem Sohne nie das Wort
„Bitter“ verlauten zu lassen.
Als nun der Knabe heranwuchs, schnitzte er sich Bogen aus
Eschenholz und Bolzen aus Tannenholz. So ausgerüstet streifte er
durch den grünen Forst und schoß nach Waldvögeln. Doch wenn ein
Pöglein, das eben noch so laut gesungen, tot zu Boden fiel, weinte
der Knabe und raufte sich die Haare vor Gram. Denn die hellen
Lieder der Waldsänger drangen tief in fein weiches Gemüt, oft
lauschte er ihnen lange und Tränen traten ihm in die Augen. Wenn
er aber nach Hause kam und ihn seine Mutter fragte, warum er so
traurig sei, konnte efs nicht sagen. Da ging sie ihm einmal nach
und bald hatte sie es inne. Nicht sollten ferner mehr die Vögel
Leid bei ihrem Kinde wecken. Den Knechten wurde aufgetragen,
sie mit Schling und Netz zu fangen. Der Knabe aber bat gar treu¬
herzig für sie um Frieden und die milde Mutter sprach: „Wahrlich,
du hast recht. Gott hat auch sie geschaffen und sie sind sein." Da war
der Knabe höchlich verwundert. — „Gott," sprach er, „wer ist Gott?"
Und die fromme Mutter antwortete: „Er ist noch lichter als der Tag;
ihn flehe an in jeder Not; doch hüte dich vor dem Teufel, dem
schwarzen Fürsten der Hölle, dem Untreuen."
Der Knabe wuchs zum Jüngling heran. Nun ging er auf die
Jagd gegen Reh und Hirsch und schuf den Waldtieren mit feinem
Wurfspeer große Not. Auch war er stark und trug das schwerste
Wild auf feinem Rücken nach Haufe ohne es vorher zu zerlegen.
Eines Tages, als er im Wald am Rand eines Abhanges dahin¬
ging, schallte ihm von weitem Hufschlag entgegen, der immer näher