Full text: [H. 3, Teil 2] (H. 3, Teil 2)

Erzählungen. 
P a r 3 i v a I. 
Königin Herzeloide trug bitteres Leid. 3m fernen Morgen- 
lande war ihr lieber Herr und Gemahl im Kampfe gefallen, getroffen 
von der harten Spitze eines Speeres. Darum beschloß sie, ihr kleines 
Knäblein in tiefer Einsamkeit aufzuziehen, fern von allem Rittertum. 
Also brach sie mit ihren Getreuen aus und wohnte fortan im stillen 
Wald Soltane. )hre Leute rodeten den Wald und bebauten das 
Feld und allen gebot die Königin, vor ihrem Sohne nie das Wort 
„Bitter“ verlauten zu lassen. 
Als nun der Knabe heranwuchs, schnitzte er sich Bogen aus 
Eschenholz und Bolzen aus Tannenholz. So ausgerüstet streifte er 
durch den grünen Forst und schoß nach Waldvögeln. Doch wenn ein 
Pöglein, das eben noch so laut gesungen, tot zu Boden fiel, weinte 
der Knabe und raufte sich die Haare vor Gram. Denn die hellen 
Lieder der Waldsänger drangen tief in fein weiches Gemüt, oft 
lauschte er ihnen lange und Tränen traten ihm in die Augen. Wenn 
er aber nach Hause kam und ihn seine Mutter fragte, warum er so 
traurig sei, konnte efs nicht sagen. Da ging sie ihm einmal nach 
und bald hatte sie es inne. Nicht sollten ferner mehr die Vögel 
Leid bei ihrem Kinde wecken. Den Knechten wurde aufgetragen, 
sie mit Schling und Netz zu fangen. Der Knabe aber bat gar treu¬ 
herzig für sie um Frieden und die milde Mutter sprach: „Wahrlich, 
du hast recht. Gott hat auch sie geschaffen und sie sind sein." Da war 
der Knabe höchlich verwundert. — „Gott," sprach er, „wer ist Gott?" 
Und die fromme Mutter antwortete: „Er ist noch lichter als der Tag; 
ihn flehe an in jeder Not; doch hüte dich vor dem Teufel, dem 
schwarzen Fürsten der Hölle, dem Untreuen." 
Der Knabe wuchs zum Jüngling heran. Nun ging er auf die 
Jagd gegen Reh und Hirsch und schuf den Waldtieren mit feinem 
Wurfspeer große Not. Auch war er stark und trug das schwerste 
Wild auf feinem Rücken nach Haufe ohne es vorher zu zerlegen. 
Eines Tages, als er im Wald am Rand eines Abhanges dahin¬ 
ging, schallte ihm von weitem Hufschlag entgegen, der immer näher
	        
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