Full text: Illustrierte preußische Geschichte

6. Preußens Fall und Wiederaufrichtung unter Friedrich Wilhelm III. 167 
Gewehre kaum brauchbar. Die Zopf- und Puderquälerei ging ins unendliche; 
genaues Gleichmaß der Zöpfe war ein Hauptziel der Kriegskunst. Außerdem 
konnte bei den gemeinen Soldaten, die zum Teil alte Familienväter und 
Söldner waren, von Begeisterung keine Rede sein. Die Offiziere waren 
größtenteils bejahrt, die Befehlshaber meistens über siebzig Jahre alt. Es 
kam vor, daß sämtliche höhere Offiziere eines Reiterregiments wegen zu großer 
Beleibtheit oder Krankheit nicht reiten konnten. Die gemeinen Soldaten waren 
mit Gepäck überladen, die Offiziere führten einen ungeheueren Troß mit sich. 
Selbst der jüngste Jnfauterieleutnaut war beritten; „denn," sagte General 
von Rüchel, „ein preußischer Edelmann geht nicht zu Fuß." Die französischen 
Heerführer wandten eine neue, von Carnot ansgefonnene Truppenaufstellung 
und Kampfweise an: sie lösten die großen, dichtgedrängten Truppenmassen in 
kleinere, aus verschiedenen Waffengattungen bestehende Abteilungen, sogenannte 
Halbbrigaden, auf, die durch vereinzelte Angriffe den Gegner mürbe zu machen 
suchten, um ihn dann durch vereinte Kraft über den Haufen zu werfen. Die 
preußischen Generale hielten ihre ruhmreich bewährte Kampfweise für unüber¬ 
trefflich und machten sich anheischig, mit ihren enggeschlossenen, schnurgerade 
vorgehenden Linien die Franzosen „zum Frühstück" zu schlagen. Gelegenheit 
dazu sollte ihnen bald geboten werden. 
2. Die auswärtigen Verhältnisse bis zum Kriege von 1806, 
Nachdem Preußen 1795 vom Kriege gegen Frankreich zurückgetreten 
war, setzten die übrigen Verbündeten, namentlich Österreich, ihn mit Eifer 
fort. Aber das Kriegsglück neigte sich mehr und mehr aus die Seite der 
Franzosen, besonders seitdem der General Napoleon Bonaparte an ihre 
Spitze getreten war. Er war 1769 auf Korsika geboren, in den französischen 
Kriegsschulen zu Brienne und Paris zum Offizier gebildet und hatte sich 
zuerst durch die Niederwerfung der königstreuen Bevölkerung in Südfrank¬ 
reich einen Namen gemacht. Er vermählte sich mit Josephine, der Witwe 
des Hingerichteten Generals Beauharnais, und erhielt den Oberbefehl über 
die französische Armee in Italien. Bonaparte war von kurzer, gedrungener 
Gestalt, voll Mut und eiserner Willenskraft, um die Wahl seiner Mittel 
nie verlegen, da er weder göttliches noch menschliches Recht achtete. Er be¬ 
siegte Österreich und Italien, besetzte 1798 Ägypten, nm von hier aus Eng¬ 
land in Indien anzugreifen, mußte aber unverrichteter Sache umkehren. Im 
Vertrauen auf das ihm ergebene Heer machte er sich znm ersten Konsul und 
brachte damit die gesamte Staatsgewalt in seine Hand; dann besiegte er den 
Kaiser abermals und zwang ihn, den Rhein und die Etsch als Frankreichs 
Grenze anzuerkennen. Tie deutschen Fürsten, welche durch diese Abtretungen 
an Frankreich Schaden erlitten, sollten durch Säkularisation geistlicher 
Gebiete und durch aufgehobene Reichsstädte entschädigt werden. Dies geschah 
durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluß, durch welchen 
112 deutsche Staaten beseitigt (mebiatifiert) wurden. Preußen bekam für die 
43 Quadratmeilen, welche es am linken Rheinufer verloren hatte, 178 wieder, 
nämlich die Stifter Hildesheim und Paderborn, den größten Teil von
	        
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