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Dritter Zeitraum.
am Bett, die Hand des sterbenden Gemahls umfassend; Prinz Wilhelm be¬
obachtete kuieeud die immer schwächer werdenden Atemzüge des geliebten
Großvaters. Am Morgen des 9. März 1888 entschlummerte der große Kaiser
ohne Todeskampf unter dem Gebet des Hofpredigers. Die Todesnachricht
verbreitete sich rasch über deu ganzen Erdenball. Jeder wußte, daß der be¬
deutendste, berühmteste und mächtigste Herrscher der Erde geschieden sei, und
besorgt fragte sich wohl mancher: Was nun? Ganz Deutschland glich einem
Trauerhause, bansende eilten nach Berlin, um die im Dome ausgebahrte
Leiche ^des geliebten Herrschers noch einmal zu sehen. Die Beisetzung erfolgte
unter Teilnahme von Königen, Prinzen und Fürsten, von Abgeordneten sämt¬
licher Staaten der Erde; aus allen deutschen Gauen waren die alten Krieger
herbeigeeilt. Im Anblick der Siegessäule empfing die Garde die irdischen
Überreste ihres großen Kriegsherrn, der sie so ost zum Siege geführt, und
geleitete sie nach Charlotteuburg. An der Seite der geliebten Eltern fand
des Deutschen Reiches erster, großer Kaiser seine Ruhestätte.
Kaiser Wilhelm I. gehört zu den größten Männern aller
Seiten. Er hat Preußen zur ersten Macht Deutschlands erhoben,
das deutsche & oll geeinigt, ihm seit Jahrhunderten entfremdete
Brüder zurückgebracht, das Deutsche Reich an die Spitze der euro¬
päischen Staaten gestellt und in einer Zeit, wo die republi¬
kanischen Neigungen auch in Deutschland weit verbreitet waren,
durch seine großen Verdienste und besonders dnrch seine hohen
persönlichen Eigenschaften die Monarchie auf die Liebe und Ver¬
ehrung des Volkes neu gegründet. Im Kriege stets siegreich,
war er doch ein Vater seines Volkes und hat durch feine Für¬
sorge für die niederen Stände den Staaten ganz neue Bahnen
gewiesen. Mit Recht heißt er deshalb Wilhelm der Große.
Fürst Bismarck schloß seine dem Reichstage das Ableben des Kaisers
verkündende Anzeige mit den Worten: „Die heldenmütige Tapferkeit,
das nationale hochgespannte Ehrgefühl und vor allem die treue,
arbeitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes und die
Siebe zum Vaterlande, die in unserem dahingeschiedenen Herrn
verkörpert waren, mögen sie ein unzerstörbares Erbteil unserer
Nation sein!"
Die Kaiserin Angusta folgte ihrem Gemahl schon am 7. Januar 1890;
auch sie ruht im Mausoleum zu Charlottenburg.
2. Die innere Festigung durch Aaiser Friedrich III.
und Kaiser Wilhelm II.
1. Kaiser Friedrich III., vom 9. Mär; bis 16. Juni 1888.
Nach Wilhelms des Großen Tode ruhte das Scepter Preußens und
des Deutschen Reiches in der bereits todesmatteu Hand Kaiser Friedrichs III.
Wie ganz anders hatte sich ihm das Leben gestaltet, als er hoffen durfte,
als das deutsche Volk wünschte!