Full text: Von der germanischen Urzeit bis zur Französischen Revolution (Teil 1)

2 Georg Steinhaufen. 
lung der meisten Völker eigen sind. Es gibt auch allgemein mensch¬ 
liche Züge. 
Man muß also vorsichtig verfahren. So hat man es vielleicht für den 
Germanen wie für den späteren Deutschen allzu charakteristisch gefunden, 
daß wir es nicht mit einem klaren und einfachen, sondern mit einem 
sehr komplizierten Charakter zu tun haben. Der germanische Cha¬ 
rakter vereinigt in sich allerdings die absolutesten Gegensätze; zwiespältige 
Empfindung ist für ihn bezeichnend. Mit dem kriegerischen Lebensideal 
des Germanen harmonieren heldenhafte, auch wilde und leidenschaftliche 
Züge, und ihm widersprechen weiche und gemütliche Seiten. Diese 
konnten dem fremden Beobachter freilich leicht entgehen. Dem Römer 
mußte der wilde, kriegerische Zug sicherlich als der hervorstechendste er¬ 
scheinen. Zu ihm stimmte schon das Äußere des Germanen, das ja 
auch wesentlich die Ursache des Kimbernschreckens war. Dieses Äußere 
des Germanen wird von den Berichterstattern ziemlich übereinstimmend 
geschildert. Sie machen dabei keine Unterschiede zwischen den verschie¬ 
denen germanischen Stämmen, die ihnen wie eine gleichmäßige Masse 
erschienen. Aber auch der moderne Kulturmensch findet bei den heutigen 
Naturvölkern oft nur Gleichartigkeit und erkennt die unterscheidenden 
Merkmale nur schwer. Was den kleinen Südländern zunächst auffiel, war 
die Größe der Germanen, die ihrerseits wieder nach Cäsars^Zeugnis über 
die kleinen römischen Soldaten spotteten. Diese Größe wird von älteren 
und jüngeren Autoren und ausdrücklich auch für die verschiedenen Stämme 
hervorgehoben. Was Cäsar von den großen Sueben schreibt, bestätigt 
Ämmianus Marcellinus später für die Alemannen, Sidonius Apollinaris 
für die sieben Fuß langen Burgunder. Einem Byzantiner erschienen die 
Franken wie Türme, und ähnliches wird von den Goten behauptet. In 
dieser typischen gewaltigen Art wird noch Karl der Große geschildert. 
Daß die Germanen selbst die Größe schätzten, zeigt der Umstand, daß sie 
zur Führerqualifikation gehörte. Im allgemeinen ergeben nun aber als 
zuverlässigste Zeugen die Gräberfunde, daß z. B. unter den Franken und 
Alemannen viele recht große Leute, jedoch ganz außergewöhnliche Maße 
nicht vorhanden waren, sondern viel mittlere Größen. Ähnlich liegen 
die Verhältnisse in manchen Gegenden noch des heutigen Deutschlands. 
Auch die Stärke, die solcher Größe entspricht, findet sich wohl gelegent¬ 
lich noch unter ursprünglichen Landbewohnern. Neben der Größe, dem 
robusten Bau und der Stärke — Plutarch vergleicht die Germanen mit 
felseneinreißenden, bäumeentwurzelnden Giganten — wird als weiteres 
den abschreckenden Eindruck vermehrendes Moment von den Alten meist 
der schon erwähnte wilde Blick hervorgehoben, unb in der Tat spiegelt 
gerade das Auge bie Halbkultur ober bie Natursrifche eines Volkes überall 
toiber. Die Farbe bet Augen aber war blau, ebenso wie bei ben 
Kelten, bie auch bie sonstigen Merkmale ber Germanen, bie weiße Haut 
unb bas rötliche Haar — rötlich ober gelblich, nicht rot — mit ihnen
	        
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