ebenso wie die Volkstrachten dem Volke selbst immer mehr verloren geht;
diese bergen wir für künftige Generationen in den Schränken der Museen,
während die Volkslieder eine Stätte finden in den Sammlungen, welche
rührige Forscher veranstalten, ehe die letzten Reste der echten alten Volks¬
poesie völlig verschwinden.
Das Volk bringt durch Gesang in den mannigfachsten Lagen seine
Gefühle und Stimmungen zum Ausdruck. Auf der Landstraße, in Feld
und Wald, in der Werkstatt und auf dem Hofe erklingen noch immer die
frohen Weisen, die schon die Väter anstimmten und welche die Generationen
unbewußt erhalten und fortpflanzen. Wenn nach des Tages Mühe und
Plage an stillen Sommerabenden die Dorfjugend sich versammelt, oder
wenn am Nachmittag der Sonn- und Feiertage die Burschen und Mädchen
des Dorfes zusammenkommen, am Waldesrand oder unter der grünen
Linde, die schon in grauer Zeit der Liebesgöttin Freya geweiht war, oder
im lauschigen Wirtsgarten, dann ertönen die alten Lieder, die jeder kennt,
aber von denen niemand weiß, woher sie kamen. „Wer hat denn dieses
Lied erdacht? Zwei Füsiliere ans der Wacht", heißt es in den jüngsten
Volksliedern, wie schon die alten Volkslieder schlossen: „Wer hat denn
dies Lied gemacht?" und die Antwort erfolgte: „Ein Reitersmann"; oder
„ein junger Knecht" oder „der uns dies neue Liedlein sang, er hat's gar
wohl gesungen, er ist dreimal in Frankreich gewest, ist allzeit wieder
kommen". Das in den Liedern am meist variierte Thema ist naturgemäß
die Liebe. Meistens wird an ein bestimmtes Ereignis angeknüpft. „Ich
ging einmal spazieren bei der Nacht, kam vor Feinsliebchens Fenster,
Schatz, schläfst du oder wachst?" oder der Bursche geht durch den Wald
und begegnet einer erblühenden Jungfrau: „Ach Herzchen, schönes Schätz¬
chen, ich frag' dich ganz fein, ob du nicht willst mein eigen wohl sein?"
Und sie willigt ein und schenkt ihm ihre Liebe, und er ist gliicklich: „Wenn
alle Wasser wären Wein und alle Berge Karfnnkelstein und ich darüber
Herr sollt' sein, so sollt' mir mein Schätzchen noch lieber sein." Aber
nicht ewig kann der ersten Liebe goldne Zeit währen, die Trennnngsstunde
naht, und nun tönt es im Lied traurig wieder vom Scheiden und Meiden.
„Scheiden ist eine harte Pein, wo zwei Feinsliebchen beieinander sein,"
oder „Schatz, ach Schatz, reich mir die Hand, ich muß fort in ein fremdes
Land. Wenn wir uns nicht wiedersehen, Gott mag uns den Frieden
geben, Schatz, mir und dir!"
Aber noch andere Schmerzen werden dem Liebenden zu Teil. „Die
Disteln und Dornen stechen gar sehr, aber die falschen Zungen noch viel
mehr," und so muß der Arme über die Untreue des Mädchens klagen,
das, während er in der Fremde weilte, sich einen andern erkoren hat.
„Nun grüß' dich Gott, herztansendster Schatz, ein andrer ist aus meinem
Platz. Ich habe dich so treu geliebt und dir noch nie dein Herz betrübt,
Jetzt seh' ich eine falsche Lieb!" Oder er erfährt gar zu seinem bitteren