V. Aus dem Naturleben.
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Und jetzt schiefst der Halm — wer treibt durch Röhren an Röhren
bis in die saftige Spitze hinauf aus den Wurzeln das Wasser?
Endlich da schlüpft ein Ährchen heraus und schwankt in den Lüften —
sag’ mir doch ein Mensch, wer hat an seidene Fäden
hier ein Knöspchen gehenkt und dort mit künstlichen Händen?
Nun, die Engel, wer sonst? Sie wandeln zwischen den Furchen
auf und ab, von Halm zu Halm und schaffen so emsig;
jetzt hängt Blüf an Blüf am zarten, schwankenden Ährchen,
und mein Hafer steht, — so steht ein Bräutchen im Kirchstuhl.
Jetzt sind zarte Körner darin und wachsen im stillen,
und mein Hafer, er merkt allmählich, was er will werden.
Käfer kommen und Fliegen, sie machen ihm ihre Visiten,
sehen zu, was er macht und singen: „Eia popeia!“
Und das Johanniswürmchen, ei ja, kommt mit dem Laternchen
nachts um neun auf Abendbesuch, wenn die Fliegen schon schlafen. —
Esst ihr Kinder, gesegn’ es euch Gott und wachst und gedeihet! —
Seitdem hat man geheut nach Pfingsten und Kirschen gepflücket,
seitdem hat man Pflaumen gelesen hinter dem Garten,
seitdem haben sie Roggen geschnitten und Weizen und Gerste,
und die armen Kinder, die haben gelesen die Ähren
barfufs zwischen den Stoppeln; geholfen hat ihnen das Mäuschen.
Drauf ist auch der Hafer gebleicht. Voll mehliger Körner
hat er geschwankt und gesagt: „Jetzt wird mir’s allmählich verleidet;
um ist meine Zeit, ich merk’s; was thu’ ich allein da
zwischen den Stoppelrüben und zwischen den lieben Kartoffeln?“
Drauf ist die Mutter hinaus und Euphrosinchen und Evchen;
an den Fingern fror’s einen schon des Morgens und Abends.
Endlich brachten wir ihn, und in der staubigen Scheuer
ward er gedroschen von früh um zwei bis abends um viere.
Drauf ist des Müllers Esel gekommen und hat ihn zur Mühle
abgeholt und wiedergebracht, zermahlen in Körnchen,
und mit fetter Milch von der jungen, fleckigen Blesse
hat in dem Topf ihn die Mutter gekocht. -— Gelt, Kinder, das schmeckte!
Wischet die Löffel ab und bet’ eins: „Danket dem Herren!“
Und jetzt geht in die Schul’, — da hängt am Gesimse die Tasche.
Fall’ mir keins, gebt acht, und lernt hübsch, was man euch aufgiebt!
Wenn aus der Schul’ ihr kommt, da giebt es gebackene Pflaumen!
Robert Reinick nach Johann Peter Hebel.
Vaterland. Oberstufe I.
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