Full text: Kommentar zu Serie I der Kulturgeschichtlichen Bilder (H. 1)

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Auch die übrigen Glieder der Familie des Hofherrn sind durch den 
Eintritt der Jagdgenossen von ihrer gewohnten Thätigkeit weggerufen und 
herzugelockt worden. Schleunigst hat der Sohn, welcher nur mit einem 
Lendenschurz bekleidet ist, seine Waffenübung unterbrochen. Noch hält er die 
Framea, die germanische Lieblingswaffe, in der Hand. Neben die Mutter- 
ist die Kochter getreten. Wie ihr völlig nacktes Brüderchen, welches sich auf 
dem Arme der Mutter sicher und wohl fühlt, blickt auch sie neugierig und 
verwundert auf das mächtige von den Hunden beschnupperte Bärentier, das 
als das Prachtstück der heutigen Jagdbeute die Blicke aller Umstehenden auf 
sich zieht. Sogar die bescheiden im Hintergründe sich aushaltenden Akten und 
das im Hosranm beschäftigte Ingesinde können sich nicht versagen, hinüber¬ 
zublicken zur Gruppe der so ansehnliche Beutestücke herbeischaffenden Jagd¬ 
genossen. — 
So sind die kampfgewohnten Gesippen von fröhlichem Weidwerk im 
wildreichen Forste heimgekehrt zum heimatlichen Gehöfte. Hier aber gehen 
sie nicht auseinander, ohne bei festlichem Gelage in der geräumigen 
Wohnhalle an Trank und Speise sich gütlich gethan zu haben. Denn im 
Frieden sind Jagd und Gelage, wechselnd mit träger Ruhe, der freien Männer 
Lust. „Die Sorge für Haus und Herd, sowie sür die Felder bleibt allein 
den Frauen und Greisen und überhaupt den Schwachen in der Familie über¬ 
lassen." (Tac.) Um darum zu erfahren, wie sich in friedlichen Zeiten das 
tägliche Lebeu der Bewohner eines germanischen Hofes abspielt und damit 
zugleich die Darstellung germanischen Lebens und Treibens auf unserm Bilde 
in all ihren Einzelheiten verstehen und würdigen zu lernen, ist es nötig, 
einmal daß wir im Geiste mit den wehrfähigen Männern 
hinausziehen in den dichten Wildwald zur Verfolgung des 
Bären, zum andern, daß wir* der gleichzeitigen wirtschaftlichen 
Thätigkeit d er übrigen Hofinsassen unsern Blick zuwen¬ 
den, und zum dritten, daß wirden Männern in He Halle folgen 
und mit ihnen teilnehmen an lautfröhlichem Gelag. 
* 
Die Nacht, bei den Germanen die erste Tageshälfte bildend, ist vorüoer. 
Der „goldrotglänzende", Donar geweihte Haushahn, der „Vogel der Frühe", 
hat schon den Anörnch des Morgens verkündet, die Sonne, Wuotans durch¬ 
dringendes Auge, steigt im Osten aus und übergießt das vom Hofwart sorg¬ 
lich bewachte Gehöft mit rötlichem Frühlicht. Kurze Zeit darnach wird es 
im Hofe lebendig: Die Unfreien kommen aus ihrer Hütte, um an ihre Arbeit 
zu gehen. Auch in der Wohnhalle regt es sich. Der Hausherr zwar liebt
	        
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