Full text: Erläuterungen zu Ad. Lehmanns Kulturgeschichtlichen Bildern und Ergänzung zu jedem Geschichtslehrbuch (H. 6)

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Frauen und Kinder, die sich bereits zum neuen Glauben bekehrt 
und die heilige Taufe empfangen haben. Sie stehen im Gegensatz 
zu ihren Volksgenossen, doch aus ihren Augen leuchtet die Zuver¬ 
sicht, daß der alte Glaube von dem neuen überwunden werden wird. 
Heute soll es sich entscheiden, wer mächtiger ist: der Gott der 
Christen, der in der Himmelsburg thront, oder Donar, der seine 
Blitze aus den Wolken herabschleudern wird, um die fremden Ein¬ 
dringlinge zu verderben. 
Mit gewaltiger Stimme hebt Bonifatius an, Christum, den Ge¬ 
kreuzigten, zu predigen und den dreieinigen Gott zu loben und zu 
preisen. 
Der Bischof Daniel von Winchester1) hat seinem Freunde 
Bonifatius in einem Briefe Ratschäge erteilt, wie er bei dem ersten 
Zusammentreffen mit den Heiden verfahren soll. So soll er z. B. 
wegen des Kultus der Götter fragen, ob die Heiden davon ein zeit¬ 
liches oder künftiges Glück erwarten. Antworten sie: ein zeitliches, 
so soll er einwenden, worin denn die Heiden glücklicher seien als 
die Christen; wozu die Opfer dienen, ob etwa den Göttern zum 
Genuß. Ferner, wenn die Götter so mächtig sind, warum sie denn 
die Christen nicht strafen, die ihnen solchen Abbruch tun u. a. 
Schweigend hören die Heiden die Botschaft. Aber was soll 
ihnen der Niedriggeborene, er, den seine eigenen Volksgenossen 
ans Kreuz geschlagen haben? Er, der Schmähworte über sich er¬ 
gehen ließ, ohne ein Schwert zu ergreifen, um alle seine Feinde 
zu vernichten wie ein zorniger, siegreicher Held? 
Nein, Donar, der in den Wolken einherfährt und seinen Hammer 
gegen den Felsen wirft, und Wotan, der Allwaltende, der im Sturm¬ 
winde daherbraust, und Saxnot und alle anderen Götter, sie stehen 
ihrem Herzen näher als der mit Dornen gekrönte Gott der Christen. 
Der vielerfahrene Bonifatius kennt die Gedanken der Heiden 
und weiß, daß er mit den Anweisungen, die ihm sein Freund Daniel 
gegeben hat, nicht weit kommt, daß vielmehr die Tat mehr vermag 
als das Wort. 
Er tritt an das Heiligtum näher heran. „Der Christengott“, 
so ruft er dem Priester und denen, die um ihn stehen zu, „ist 
mächtiger als Donar. Wenn Donar mehr vermag, als der Christen¬ 
gott, so soll mich und die meinen der Strahl seines Blitzes treffen, 
wenn ich unter die Äste seiner Eiche trete.“ 
1) S. Rettberg I, 406 ff.
	        
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