C. Die Legrün-ung des Deutschen Reiches.
1. Regierungsprogramm des Prinzregenten von Preußen. 8. Nov.
1858.
Nachdem wir durch eine ernste Krisis gegangen sind, sehe ich Sie,
die mein Vertrauen zu den ersten Räten der Krone berufen hat, zum
erstenmal um mich versammelt. Augenblicke der Art gehören zu den
schwersten im Leben des Monarchen, und ich als Regent habe sie nur
noch tiefer empfunden, weil ein unglückliches Verhältnis mich in meine
Stellung berufen hat. Die Pietät gegen meinen schwer heimgesuchten
König und Herrn ließ mich lange schwanken, wie manche Erlebnisse, die
ich unter seiner Regierung wahrnahm, in eine bessere Bahn wieder über¬
zuleiten seien, ohne meinen brüderlichen Gefühlen und der Liebe, Sorg¬
falt und Treue, mit welcher unser allergnädigster König seine Regierung
führte, zu nahe zu treten.
Wenn ich mich jetzt entschließen konnte, einen Wechsel in den Räten
der Krone eintreten zu lassen*), so geschah es, weil ich bei allen von mir
Erwählten dieselbe Ansicht traf, welche die meinige ist: daß nämlich
von einem Bruche mit der Vergangenheit nun und nimmer¬
mehr die Rede sein soll. Es soll nur die sorgliche und bessernde
Hand angelegt werden, wo sich Willkürliches oder gegen die
Bedürfnisse der Zeit Laufendes zeigt. Sie alle erkennen es an,
daß das Wohl der Krone und des Landes unzertrennlich ist, daß die
Wohlfahrt beider auf gefunden, kräftigen, konservativen Grundlagen
beruht. Diese Bedürfnisse richtig zu erkennen, zu erwägen und ins
Leben zu rufen, das ist das Geheimnis der Staatsweisheit, wobei von
allen Extremen sich fern zu halten ist Vor allem warne ich vor der
stereotypen Phrase, daß die Regierung sich fort und fort treiben lassen
müsse, liberale Ideen zu entwickeln, weil sie sich sonst von selbst Bahn
brächen. Gerade hierauf bezieht sich, was ich vorhin Staatsweisheit
nannte. Wenn in allen Regierungshandlungen sich Wahrheit, Gesetzlich-
*) Am 5.Nov. war das Reaktionsministerium Manteuffel entlassen und der
Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen zum Ministerpräsidenten berufen worden.