Full text: Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart (Teil 2)

J82 Ausbau des Deutschen Reiches. 
befestigen. Es sind daher die Erschütterungen möglichst zu vermeiden, 
welche häufiger Wechsel der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. 
Die Förderung der Aufgaben der Reichsregierung muß die festen 
Grundlagen unberührt lassen, auf denen bisher der preußische Staat 
sicher geruht hat. 
Im Reiche sind die verfassungsmäßigen Rechte aller verbündeten 
Regierungen ebenso gewissenhaft zu achten wie die des Reichstages; 
aber von beiden ist eine gleiche Achtung der Rechte des Kaisers zu er¬ 
heischen. Dabei ist im Auge zu behalten, daß diese gegenseitigen Rechte 
nur zur Hebung der öffentlichen Wohlfahrt dienen sollen, welche das 
oberste Gesetz bleibt, und daß neu hervortretenden, unzweifelhaften 
nationalen Bedürfnissen stets in vollem Maße Genüge geleistet werden 
muß. 
Die notwendigste und sicherste Bürgschaft für ungestörte Förderung 
dieser Aufgaben sehe ich in der ungeschwächten Erhaltung der Wehr¬ 
kraft des Landes, meines erprobten Heeres und der aufblühenden 
Marine, der durch Gewinnung überseeischer Besitzungen ernste Pflichten 
erwachsen sind. Beide müssen jederzeit auf der Höhe der Ausbildung 
und der Vollendung der Organisation erhalten werden, welche deren 
Ruhm begründet hat und welche deren fernere Leistungsfähigkeit sichert. 
Ich bin entschlossen, im Reiche und in Preußen die Regierung in 
gewissenhafter Beobachtung der Bestimmungen von Reichs- und Landes¬ 
verfassung zu führen. Dieselben sind von meinen Vorfahren auf dem 
Throne in weiser Erkenntnis der unabweisbaren Bedürfnisse und der 
zu lösenden schwierigen Aufgaben des gesellschaftlichen und staatlichen 
Lebens begründet worden und müssen allseitig geachtet werden, um 
ihre Kraft und segensreiche Wirksamkeit betätigen zu können. 
Ich will, daß der seit Jahrhunderten in meinem Hause heilig ge¬ 
haltene Grundsatz religiöser Duldung auch ferner allen meinen Untertanen, 
welcher Religionsgemeinschaft und welchem Bekenntnisse sie auch an¬ 
gehören, zum Schutze gereiche. Ein jeglicher unter ihnen steht meinem 
Herzen gleich nahe — haben doch alle gleichmäßig in den Tagen der 
Gefahr ihre volle Hingebung bewährt. 
Einig mit den Anschauungen meines Kaiserlichen Herrn Vaters, 
werde ich warm alle Bestrebungen unterstützen, welche geeignet sind, 
das wirtschaftliche Gedeihen der verschiedenen Gesellschaftsklassen zu 
heben, widerstreitende Interessen derselben zu versöhnen und unver¬ 
meidliche Mißstände nach Kräften zu mildern, ohne doch die Erwartung 
hervorzurufen, als ob es möglich fei, durch Eingreifen des Staats allen 
Übeln der Gesellschaft ein Ende zu machen. 
Mit den sozialen Fragen enge verbunden erachte ich die der Er¬ 
ziehung der heranwachsenden Jugend zugewandte Pflege. Muß einer¬ 
seits eine höhere Bildung immer weiteren Kreisen zugänglich gemacht 
werden, so ist doch zu vermeiden, daß durch Halbbildung ernste Ge-
	        
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