Full text: Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart (Teil 2)

34 Frankreich im Kriege mit Europa bis 1812. 
lief), nach vielen Stockungen im Marsch, den langen Wagenzug hinter 
uns und die Straße nach Kaluga frei vor uns hatten... 
Am 6. November war der Marsch entsetzlich, denn bei einer Kälte 
von 22 Grad umhüllte uns ein so dicker Nebel, daß man die Hand vor 
den Augen nicht sehen konnte. Die Lippen froren aufeinander, das 
Innere der Nase vereiste, und das Gehirn erstarrte. Später trat ein 
Schneesturm ein, welcher Flocken in einer Größe mit sich führte, wie 
solche noch keiner je gesehen hatte. Die ganze Atmosphäre schien von 
Eis zu sein. 
Als wir an einem Gehölz in der Nähe eines elenden Dorfes namens 
Miekalowska Halt gemacht hatten, kam in rasender Eile ein Reiter an, 
der nach dem Kaiser fragte. Wie wir bald erfuhren, war es ein General, 
der die Nachricht von einer Verschwörung überbrachte, die in Paris 
von einem General Malet angestiftet worden war ... Unser Aufenthalt 
dauerte nicht viel über eine halbe Stunde, in dieser Zeit starben aber 
mehrere Leute auf der Stelle, auf welcher sie niedergesunken waren. 
Viele andere waren vor Entkräftung schon auf dem Marsch zusammen¬ 
gebrochen. Kurz, unsere Reihen begannen sich zu lichten, und doch 
standen wir erst am Anfang all des Elendes, das Über uns kommen 
sollte. Wenn ein längerer Halt gemacht wurde, ließ man den Pferden, 
die man unbemerkt erwischen konnte, mit einem Messer zur Ader, fing 
das Blut in Feldkeffeln auf, kochte und genoß es. Oft kam es vor, daß 
es eben erst ans Feuer gesetzt worden war, wenn wieder aufgebrochen 
werden mußte, weil die Russen uns zu sehr auf den Leib rückten. Dabei 
habe ich aber häufig gesehen, daß einzelne Leute ganz ruhig am Kessel 
sitzen blieben, während schon die Kugeln hin- und herflogen. Mußte 
schließlich denn doch das Feld geräumt werden, nun, dann wurde der 
Kessel mitgenommen und unterwegs mit der hohlen Hand aus ihm 
geschöpft, mochte dabei Gesicht und Kleidung noch so sehr von Blut 
besudelt werden. 
Trat die Notwendigkeit ein, ein Pferd, welches man gerade zer¬ 
legen wollte, im Stiche lassen zu müssen, so geschah es oft, daß sich Mann¬ 
schaften beim Abmarsch versteckten und dann, wenn alles fort war, wie 
Wölfe über das Fleisch herfielen. Diese Leute sah man selten wieder, 
denn wenn sie nicht vom Feinde gefangen wurden, erlagen sie der 
Kälte... 
Unheilvoll war die Nacht vom 8. zum 9. November, in der die 
ganze Holle gegen uns losgelassen schien, die aber doch unter ihrem 
Schleier eine Aufopferung barg, die ich hier nicht unerwähnt lassen 
will. 
Der Prinz Emil von Hessen-Kassel bildete mit seinem Kontingent 
einen Teil unserer Armee. Sein kleines Korps bestand aus mehreren 
Regimentern Infanterie und Kavallerie. Er biwakierte mit dem Rest 
feiner auf fünfhundert bis sechshundert Mann zusammengeschmolzenen
	        
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