Full text: Die Welt im Spiegel der Nationalliteratur ([5], [Schülerbd.])

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Straße und der freien Luft in Verbindung kam. Einen solchen 
Vogelbauer, mit dem viele Häuser versehen waren, nannte man ein 
Geräms. Die Frauen saßen darin, um zu nähen und zu stricken; 
die Köchin las ihren Salat; die Nachbarinnen besprachen sich von 
daher miteinander, und die Straßen gewannen dadurch in der guten 
Jahreszeit ein südliches Ansehen. Man fühlte sich frei, indem man 
mit dem Öffentlichen vertraut war. So kamen auch durch diese 
Gerämse die Kinder mit den Nachbarn in Verbindung, und mich 
gewannen drei gegenüber wohnende Brüder von Ochsenstein, hinter¬ 
lassene Söhne des verstorbenen Schultheißen, gar lieb und beschäftigten 
und neckten sich mit mir auf mancherlei Weise. 
Die Meinigen erzählten gern allerlei Eulenspiegeleien, zu denen 
mich jene sonst ernsten und einsamen Männer angereizt. Ich führe 
nur einen von diesen Streichen an. Es war eben Topfmarkt gewesen, 
und man hatte nicht allein die Küche für die nächste Zeit mit solchen 
Waren versorgt, sondern auch uns Kindern dergleichen Geschirr im 
kleinen zu spielender Beschäftigung eingekauft. An einem schönen 
Nachmittag, da alles ruhig im Hause war, trieb ich im Geräms mit 
meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen, und da weiter nichts da¬ 
bei herauskommen wollte, warf ich ein Geschirr auf die Straße und 
freute mich, daß es so lustig zerbrach. Die von Ochsenstein, welche 
sahen, wie ich mich daran ergötzte, daß ich so gar fröhlich in die 
Händchen patschte, riefen: „Noch mehr!" Ich säumte nicht, sogleich 
einen Topf, und auf immer fortwährendes Rufen: „Noch mehr!" 
nach und nach sämtliche Schüsselchen, Tiegelchen, Kännchen gegen das 
Pflaster zu schleudern. Meine Nachbarn fuhren fort, ihren Beifall 
zu bezeigen, und ich war höchlich froh, ihnen Vergnügen zu machen. 
Mein Vorrat aber war aufgezehrt, und sie riefen immer: „Noch 
mehr!" Ich eilte daher stracks in die Küche und holte die irdenen 
Teller, welche nun freilich im Zerbrechen noch ein lustigeres Schau¬ 
spiel gaben; und so lief ich hin und wieder, brachte einen Teller nach 
dem andern, wie ich sie auf dem Topfbrett der Reihe nach erreichen 
konnte, und weil sich jene gar nicht zufrieden gaben, so stürzte ich 
alles, was ich von Geschirr erschleppen konnte, in gleiches Verderben. 
Nur später erschien jemand, zu hindern und zu wehren. Das Unglück 
war geschehen, und man hatte für so viel zerbrochene Töpferware 
wenigstens eine lustige Geschichte, an der sich besonders die schalkischen 
Urheber bis an ihr Lebensende ergötzten. 
Meines Vaters Mutter, bei der wir eigentlich im Hause wohnten, 
lebte in einem großen Zimmer hinten hinaus, unmittelbar an der 
Hausflur, und wir pflegten unsere Spiele bis an ihren Sessel, ja, 
wenn sie krank war, bis an ihr Bett hin auszudehnen. Ich erinnere 
mich ihrer gleichsam als eines Geistes, als einer schönen, hagern, 
immer weiß und reinlich gekleideten Frau. Sanft, freundlich, wohl¬ 
wollend ist sie mir im Gedächtnis geblieben. 
Wir hatten die Straße, in welcher unser Haus lag, den Hirsch¬
	        
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