Full text: Kleine Lebensbilder aus dem Alterthum

— 116 — 
Weib von riesenhafter Gestalt erschienen sein und ihm sein nahes 
Ende verkündigt haben. Traurig und in trüben Gedanken kehrte 
er nach dem Rheine zurück, stürzte unterwegs vom Pferde und starb 
in Folge eines dadurch erlittenen Schenkelbruches. Sein Bruder 
Tiberins, der nun das Commando übernahm, benutzte die Uneinigkeit 
der einzelnen Volksstämme, schloß mit einigen derselben Bündnisse, 
gewöhnte sie an römische Lebensweise, so wie an römisches Recht 
und Gericht und machte so aus Bundesgenossen allmählich Unter¬ 
thanen des römischen Reiches. 
Den Besitz des Landes sicherte er sich, wie schon sein Bruder 
Drusiis ihm darin vorangegangen war, durch Festungen, die er im 
Lande anlegen ließ. Drusus hatte namentlich am Rhein über fünfzig 
größere und kleinere Forts errichtet, solche auch im Taunus und an 
der Lippe (hier das Castell Aliso am Zusammenfluß der Alme und 
Lippe) angelegt. So konnten die Römer sich bereits als Herrn des 
Landes bis zur Elbe ansehen, und die Deutschen schienen sich an die 
Abhängigkeit zu gewöhnen; viele von ihnen nahmen sogar bei den 
Römern Kriegsdienste, und Angustus errichtete eine eigene Leibgarde 
aus Deutschen. Zu den vornehmen Jünglingen, die in römische 
Dienste traten, gehörten unter anderen auch Arminius oder Hermann, 
Sohn des Segimer, Fürsten der Cherusker am Harze, dem sogar 
die Würde eines römischen Ritters ertheilt wurde, und Marbod, 
Fürst der Markomannen in Böhmen; beide lernten dort römische 
Politik und Kriegskunst. 
Vielleicht wäre die dauernde Unterwerfung der Deutschen 
gelungen, weun nicht Augustus den Fehler begangen hätte, nach 
Deutschland als Statthalter den Pnblius Quiutilius Varus zu 
schicken. Dieser hatte bisher die Provinz Syrien verwaltet, nnd 
man sagte von ihm, um sein dortiges Verfahren zu bezeichnen, er 
habe als armer Mann das reiche Syrien angetreten und als reicher 
das arme Syrien verlassen. 
Er, der es bisher nur mit den verweichlichten und an Unter¬ 
würfigkeit gewöhnten asiatischen Völkern zu thun gehabt hatte, behan¬ 
delte die Deutschen übermüthig, legte willkürlich Tribut auf, führte 
römische Gerichtsform und Strafen ein und beleidigte dadurch den 
Freiheitssinn des Volkes, das an keine körperlichen Züchtigungen und 
Hinrichtungen gewöhnt war. Hermann, der inzwischen in die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.