Full text: Die Ausgestaltung der europäischen Kultur und deren Verbreitung über den Erdball (Die Neuzeit) (Hauptteil 3)

126 Die Entwicklung der Französischen Revolution rc. 
Das Hauptunglück war die wachsende Finanznot: i. I. 1759 z. B. betrugen 
die Staatsausgaben 500 Millionen Livres, die Einnahmen 286 Millionen. Der 
Fehlbetrag (das Defizit) mußte durch Steuererhöhungen und An¬ 
leihen gedeckt werden. Dabei verschlang die H o f h a l t u n g ungeheure Sum¬ 
men: der königliche Haushalt zählte etwa 15 000 größtenteils überflüssige Personen 
und beanspruchte i. I. 1774 über 42 Millionen bei einer Staatseinnahme von 
305 Millionen. 
Vergebens betraute Ludwig XVI. bei seinem Regierungsantritt zwei treff¬ 
liche Männer, den einsichtigen und willenskräftigen Minister T u r g o t sowie dessen 
Amtsgenossen, den edlen Malesherbes, mit der Ordnung des zerrütteten 
1774/75 Staatswesens. Die Reformvorschläge Turgots (Sparsamkeit in der Hofhaltung, 
Abschaffung der Privilegien, Neuordnung und Verstaatlichung der Steuern rc. zc.) 
wären sehr gut gewesen. Indes Turgot beabsichtigte, sein Werk durch die Ein¬ 
führung der parlamentarischen Regierungsform (nach englischem Muster) zu krö¬ 
nen, während das Königspaar wohl Reformen bewilligen, dabei aber den Abso¬ 
lutismus aufrecht erhalten wollte (etwa wie Friedrich d. Gr.). Diese grundsätzliche 
1776 Meinungsverschiedenheit zwischen König und Minister führte zur Entlassung Tur¬ 
gots. Die Reformverfuche ber folgenden Minister (Necker, Calonne, Brienne u. a.) 
bewegten sich entweder in den Geleisen Turgots oder sie entsprachen den Wün¬ 
schen der Krone; zustande kam jedoch nichts, auch nicht durch die aus Adeligen, 
Geistlichen, Parlamentsräten und einigen Städteabgeordneten bestehende Nota- 
1787 belnversammlung, die an den ständischen Vorrechten festhielt. 
2. Die Berufung der Reichsstände. Als man schließlich alle Bar- 
1788 Zahlungen einstellen mußte und somit ber Staatsbankerott drohte, 
berief Ludwig ben früheren Minister Necker zum zweiten Male unb 
willigte in bie Einberufung der Reichsstände. Dabei setzte Necker es durch, 
daß bem Abel und ber Geistlichkeit je 300, dem Bürgerstanbe (tiers etat) 
jedoch 600 Vertreter zugebilligt würben. Nun bemächtigte sich des Volkes 
eine ungeheure Erregung; zahllose Flugschriften mit 
Wünschen und Vorschlägen überschwemmten das Land und es entbrannte 
ein Wahlkampf von beispielloser Heftigkeit. Als endlich ber Zusammen- 
1789 tritt der Reichsstände in Versailles erfolgte, fanden sich unter den Ab- 
ö,9Kai geordneten bie hervorragendsten Männer Frankreichs. 
Zn nennen sind der kluge Bifchof T a l l e y r a n d, der schwärmerische Frei¬ 
heitskämpfer Marquis L a f a y e 11 e , der gelehrte Astronom B a i l l y , den der 
dritte Stand zum Vorsitzenden wählte, der redekundige Abbe Sieyes, dessen 
Flugschrift „Qu'est ce que le Tiers-etat?“ gewaltiges Aufsehen erregte1), und der 
hochgebildete, klarblickende und zielbewußte Graf M i r a b e a u. Letzterer hatte 
nach einer bewegten Jugend große Reisen in Europa gemacht, in Berlin eine 
Unterredung mit Friedrich d. Gr. gehabt und durch geistreiche Schriften die Augen 
der Öffentlichkeit auf sich gelenkt. Da er von seinen Standesgenossen nicht gewählt 
wurde, ließ er sich, wie Sieh es, vom dritten Stand wählen; sein Schlagwort „Die 
Privilegien ändern sich, das Volk ist ewig" flog von Mund zu Mund. 
!) Sieyes stellte den Grundsatz auf, daß „der dritte Stand die Nation selbst sei". Be¬ 
kannt sind seine geflügelten Worte: „Was ist der dritte Stand? — Alles! Was bedeutet 
er im Staate? — Nichts! Was will er? — Daß er etwas bedeute!"
	        
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