Full text: Bayern unter Prinzregent Luitpold und König Ludwig III. Der Weltkrieg (seit 1914) (Hauptteil 3, Ergänzungsheft)

14 Der Weltkrieg (seit 1914). 
sich nicht nur eine wichtige Wirtschafts- unb Kulturstraße zwischen Mitteleuropa unb 
Vorberasien sonbern bie Türkei konnte auch mit Leichtigkeit Truppen unb Kriegs¬ 
material nach unb von allen Seiten zusammenziehen, sobaß bie kriegerischen Ab¬ 
sichten ber Russen unb Englänber gegen bie Türken bebeutenb erschwert würben. 
So brang denn aufseiten Rußlands und der Westmächte die Über¬ 
zeugung durch, daß man die Auseinandersetzung mit Deutschland und Oster- 
1914 reich nicht mehr allzulange verschieben dürfe und es begannen die Kriegs- 
Apnl Vorbereitungen des Dreiverbandes im einzelnen. Da die strategischen 
Bahnen an der russischen Westgrenze (vgl. S. 12) noch nicht fertig waren, 
also die Versammlung der russischen Streitkräfte länger dauerte als die 
der deutschen und österreichischen, begann Rußland in aller Heimlich¬ 
keit bereits im April und Mai 1914 die Mobilisierung seiner sibirischen 
Armeekorps und deren Beförderung nach dem Westert1). Ferner wurden 
in Serbien und Montenegro große Mengen an Waffen und Muni¬ 
tion aufgespeichert. Frankreich, dessen Rüstungen noch nicht beendet 
waren, hielt sich vorsichtig zurück, zumal etwaige unmittelbare Kriegs¬ 
vorbereitungen doch nicht unbemerkt hätten vor sich gehen können. Eng¬ 
land rüstete seine Flotte und sein Landheer ganz öffentlich unter der 
heuchlerischen Maske, daß es zu Übungszwecken eine Probemobilisierung 
und Flottenschau beabsichtige. Gleichzeitig suchten die Westmächte Bel¬ 
gien in ihren Kreis zu ziehen. 
Die Stellung Belgiens war für ben beborstehenben Krieg bon ber höchsten 
Wichtigkeit. Seit langen Jahren hatte man bie beutsch-sranzosische Grenze bon 
beiben Seiten berart befestigt, baß ein unmittelbarer Angriff sowohl bon beut¬ 
scher als bon französischer Seite wenig Erfolg bersprach. Deshalb planten bie 
beiben Generalstäbe, ber beutsche unb ber französische, einen raschen Vormarsch 
durch Belgien, um bie beutsch-franzosischen Grenzbefestigungen zu umgehen und 
ben Gegner in ber Flanke zu fassen. Für Frankreich unb Englanb kam noch hinzu, 
baß Belgien für Englanb ber natürliche Brückenkopf unb Lanbungsplatz war, auf 
bem sich bie französischen unb englischen Streitkräfte leicht bereinigen konnten. 
Deutscherseits wurde nun ber Kriegsplan sorgfältig geheimgehalten. Aufseiten 
Frankreichs unb Englanbs gelang inbes bie Geheimhaltung nicht soleicht, ba bie 
französisch-englisch-belgischen Verhanblungen einen zu großen Kreis bon Einge¬ 
weihten umfaßten, als baß sie ganz im berborgenen hätten borsichgehen können. 
In Belgien selbst, wo bas französischgesinnte, beutschseinbliche Wallonentum 
regierte, war man mit bem Anschluß an bie Westmächte2) trotz ber bölker- 
rechtlich festgelegten Neutralität im allgemeinen einberstanben unb zufrieben, 
zumal man an bem Siege bes überlegenen Dreiberbanbes gar nicht zweifelte^ 
1) Durch später (bei Kriegsgefangenen) aufgefundene Schriftstücke, beglaubigte 
Aussagen u. dgl. ist die Tatsache, daß die sibirischen Armeekorps bereits im Mai 1914 
auf Kriegsfuß standen und nach Westen befördert wurden, urkundlich erhärtet. 
2) Daß sich die belgische Regierung unter Leitung des Königs Albert mit der 
französischen und der englischen im Einvernehmen befand, ist durch inzwischen auf¬ 
gefundene amtliche Schriften, besonders durch die Berichte des belgischen Gesandten 
in Berlin, v. Greindel, unwiderleglich bestätigt worden.
	        
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