Der Weltkrieg (feit 1914). 15
Es ist nicht anzunehmen, daß der Dreiverband den Kriegsbeginn schon
für Juli oder August 1914 beabsichtigt hatte; wenigstens ergab sich beim
tatsächlichen Ausbruch des Krieges, daß die Einzelvorbereitungen auf¬
feiten unserer Gegner noch lange nicht beendet waren. Also dürfte der
Beginn der Feindseligkeiten für einen späteren Zeitpunkt bestimmt ge¬
wesen sein. Inzwischen suchte man dem gewünschten Erfolg auf anderem
Wege vorzuarbeiten, nämlich durch die Ermordung des Thronfolgers 1914
Franz Ferdinand von Österreich. ?8,3u
Die Widerstandskraft Österreichs wurde wie gesagt von den Gegnern der
Donaumonarchie allgemein unterschätzt. Vielfach glaubte man, daß bei dem er¬
bitterten Nationalitätenstreit das Gefüge des habsburgifchen Staates mit dem
Tode des hochbetagten ehrwürdigen Kaisers Franz Joseph (geb. 1830) sich lösen
oder wenigstens lockern werde. Es lag nun gewiß im Interesse der Gegner Öster¬
reichs, wenn der Donaustaat nach dem Tode Franz Josephs nicht unter die ziel¬
bewußte Leitung eines gereiften Mannes von hervorragender Begabung und
Tatkraft kam. Als solcher galt aber der derzeitige Thronfolger Franz Ferdi¬
nand (geb. 1863). Außerdem war er mit dem deutschen Kaiser innig befreundet.
Auch hielt man ihn für den Befürworter der Einverleibung Bosniens und der
Herzegowina, für den eifrigsten Gegner Serbiens und der großserbischen Pläne,
ferner für einen abgesagten Feind Italiens, dem er — wie der Krieg bewies,
mit Recht — mißtraute. Gründe genug, um die Beseitigung Franz Ferdinands
als im Interesse des Dreiverbands gelegen erscheinen zu lassen1), zumal nach seinem
Tode die Thronfolge an den jugendlichen Erzherzog Karl Franz (geb. 1887)
übergehen mußte, der einstweilen für den Thron weder erzogen noch vorbereitet
war. So wurde denn die Ermordung Franz Ferdinands von Belgrad aus2)
in die Wege geleitet und anläßlich eines Besuches des Thronfolgers in Sera-
jewo, der Hauptstadt Bosniens, durchgeführt. Die Gemahlin des Thronfolgers
teilte fein Schicksal.
Diese allen Menschen- und Völkerrechten hohnsprechende Greuel¬
tat stellte nun die österreichische und damit auch die deutsche Regierung
vor eine sehr ernste Frage. Nahm man den Mord ohne eine der Schwere
der Tat entsprechende Sühne hin, verlor man alle Achtung im internatio¬
nalen Verkehr und ermutigte die Gegner zu ähnlichen Taten. Griff mau
gegen Serbien energisch durch, so entfesselte man höchstwahrscheinlich, da
Serbien voraussichtlich durch Rußland gedeckt wurde, den europäischen
Krieg. Anderseits waren sich Deutschland und Österreich darüber klar,
*) Daß die Staatsoberhäupter und Staatslenker des Dreiverbandes den Mord
angeregt haben, ist nicht anzunehmen. Doch finden sich in solchen Fällen immer
untergeordnete Persönlichkeiten, die derartige Handlungen auf eigene Faust in An¬
griff nehmen und durch Fanatiker ausführen lassen.
2) Durch die amtliche Untersuchung und inzwischen (bei der Eroberung Serbiens)
vorgefundene Belege ist urkundlich bewiesen, daß der serbische Kronprinz Alexander,
der serbische Ministerpräsident Pasitsch und wahrscheinlich auch der russische Gesandte
Hartwig um den Mordplan wußten und ihn mindestens nicht vereitelten. Ferner
steht fest, daß die Mordwaffen aus der kgl. serbischen Waffenfabrik in Belgrad ge¬
liefert und die Mörder in deren Handhabung von serbischen Offizieren unterrichtet wurden.