Full text: Geschichtliches Lesebuch

III. ü. Treitschke, Burschenschaft und Wartburgfest. 45 
Pere-Pereat auf „die schuft'geu Schmalzgesellen" gingen die Vehm- 
richter auseinander. 
Es war eine unbeschreiblich abgeschmackte Posse, an sich nicht 
ärger als viele ähnliche Ausbrüche akademischer Roheit, bedenklich 
nur durch den maßlosen Hochmut und die jakobinische Unduldsamkeit, 
die sich in den Schimpfreden der jungen Leute ankündigten. Darum 
sprach sich Stein in den schärfsten Worten über „bie Fratze auf der 
Wartburg" aus, und der immer schwarzsichtige Niebuhr schrieb be¬ 
sorgt: „Freiheit ist ganz unmöglich, wenn die Jugend ohne Ehr¬ 
erbietung und Bescheidenheit ist." Seine Wahrhaftigkeit fühlte sich 
angeekelt von dieser „religiösen Komödie": dort der kühne Refor¬ 
mator, der sich gegen die höchste und heiligste Gewalt der Zeit em¬ 
pörte, und hier das ungefährliche Feuergericht großsprecherischer junger 
Burschen über eine Reihe von Schriften, woraus sie kaum eine Zeile 
kannten — welch ein lächerlicher Kontrast! Auf der Burschenver¬ 
sammlung am nächsten Tage sprachen die Studenten wieder ruhiger, 
verständiger mindestens als ihr Lehrer Fries, der ihnen eine unglaublich 
geschmacklose, von mystischer Bibelweisheit und sachsen-weimarischem 
Freiheitsdünkel strotzende Rede schriftlich zurückgelassen hatte: „Kehret 
wieder zu den Enrigen und saget: Ihr wäret im Lande deutscher 
Volksfreiheit, deutscher Gedankenfreiheit... Hier lasten keine stehenden 
Truppen! Ein kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deut¬ 
schen Fürsten haben dasselbe Wort gegeben u. s. w." Wahrlich, 
Stein wußte wohl, warum er die Jenenser Professoren als faselnde 
Metapolitiker verdammte, und Goethe nicht minder, warum er seinen 
Fluch aussprach über alles deutsche politische Gerede; denn was ließ 
sich von der Jugend erwarten, wenn ihr gefeierter Lehrer die vier¬ 
undzwanzig weimarischen Husaren dem übrigen Deutschland als ruhm¬ 
reiches Vorbild darstellte! Dieselbe widerliche Vermischung von Re¬ 
ligion und Politik, die schon aus Fries' Rede sprach, offenbarte sich 
dann noch einmal am Nachmittage, als einige der Burschen auf den 
Einfall kamen, noch das Abendmahl zu nehmen. Der Superintendent 
Nebe gab sich in der That dazu her, den aufgeregten und zum Teil 
angetrunkenen jungen Männern das Sakrament zu spenden — ein 
charakteristisches Probstück jener jämmerlichen Schlaffheit, welche die 
weltlichen wie die geistlichen Behörden der Kleinstaaterei in unruhigen 
Tagen immer ausgezeichnet hat. 
Trotz allen Thorheiten einzelner war die Feier im ganzen harm¬ 
los, glücklich, unschuldig. Als man am Abend unter strömenden
	        
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