Full text: Geschichte der Neuzeit (Band 3)

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8. Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich 
bleich, und Stille herrscht im Kreise gleichwie im Todtenreich; 
man hätte mögen hören jetzt wohl ein fallend Laub, denn keiner 
wagt zu wehren dem Löwen seinen Raub. 
9. Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt, 
da» ew’ge Buch der Bücher, das hält er in der Hand-, er liest 
mit lauter Stimme der heil’gen Worte Klang, dass es in aller 
Herzen wie Gottes Stimme drang. 
10. „Und Petrus sprach zum Herren: Nicht so? Genügt ich 
hab’, wenn ich dem sünd’gen Bruder schon siebenmal vergab? Doch 
Jesus ihm antwortet: Nicht siebenmal vergib, nein, siebenzig mal 
sieben, das ist dem Vater lieb!“ 
11. Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewusst, 
er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust; ein 
lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht, — nie schöner 
ward begangen die heil’ge Weihenacht. H. v. Mühler. 
249. Die deutsche Kaiserwahl. 
Aer fromme Kaiser Heinrich war gestorben, des sächsischen 
Geschlechtes letzter Zweig, das glorreich ein Jahrhundert lang 
geherrscht. Als nun die Botschaft in das Reich erging, da fuhr ein 
reger Geist in alles Volk, ein neu Weltalter schien herauf zu ziehn; 
da lebte jeder längst entschlafne Wunsch und jede längst erloschne 
Hoffnung auf; kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann, dem 
sonst so Hohes nie zu Hirne stieg, sich heimlich forschend mit den 
Blicken maß: kann's doch nach deutschem Rechte wohl geschehn, 
daß, wer dem Kaiser heut' den Bügel hält, sich morgen selber in 
den Sattel schwingt. Jetzt dachten unsre freien Männer nicht qn 
Hub- und Hain-Gericht und Markgeding, wo man um Esch' und 
Holztheil Sprache hält; nein, stattlich ausgerüstet zogen sie aus 
allen Gauen, einzeln und geschaart, in's Maienfeld hinab zur Kaiser¬ 
wahl. Am schönen Rheinstrom zwischen Worms und Mainz, wo unab¬ 
sehbar sich die ebne Flur auf beiden Ufern breitet, sammelte der An¬ 
drang sich; die Mauern einer Stadt vermochten nicht, das deutsche Volk 
zu fassen. Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt die Sachsen sammt der 
slav'schen Nachbarschaft, die Baiern, die Ostfranken und die Schwaben; 
am linken lagerten die rhein'schen Franken, die Ober- und die Nieder- 
Lothringer. — So war das Mark von Deutschland hier gedrängt; 
und mitten in dem Lager jedes Volks erhub sich stolz das herzogliche 
Zelt. Da war ein Grüßen und ein Händeschlag, ein Austausch, 
ein lebendiger Verkehr! Und jeder Stamm, verschieden an Gesicht, 
an Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht, an Pferden,
	        
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