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des schweren Perpendikels der Turmuhr. Konrings klugen feuchten sich.
Inbrünstig an seine Brust pressen sich seine gefalteten Hände, „himm¬
lischer Vater oben, ich danke dir für deine Gnade, datz du mich die
Freude heute erleben läßt! Meines Lebens höchster Freudentag, er ist
gekommen, vir, Allmächtiger, sei heut' neugeweiht das ganz wie neue,
prachtvolle Werk. Blicke gnädig auf unsere Gemeinde herab, nimm
an unser Opfer, der du die jungen Baben nicht vergissest und den
Lperling auf dem Dache behütest."
Nach längerer Versunkenheit wiegt der Kantor den Kopf leise hin
und her und flüstert halblaut vor sich hin: „Jauchzet dem Herrn
alle Welt, singet, rühmet, lobet; lobt den Herrn mit Harfen und
Psalmen; mit Trompeten und Posaunen jauchzet vor dem Herrn, dem
Könige!" Kann es einen schöneren Grgelspruch geben? Doch gut,
daß er mir zur rechten Zeit eingefallen ist. Und schön, großartig schön
hat Maler vemmler aus Telle ihn hingemalt auf den Fries, rot
und golden, in gotischen Buchstaben!"
Leine Bienen lenken den Kantor für eine weile ab. „Ua, die
fliegen ja wie toll heut' morgen, sie werden doch nicht schwärmen
wollen? Das wär' noch besser!" — heftig stampft er plötzlich mit
dem Fuße: „Uber das muß ich sagen, — will mich nicht groß rühmen
damit, denn vor Gott ist kein Mensch gerecht: ehrlich das Meine hab'
ich dabei getan! Und mein ganzes Haus wahrhaftig hat mitge¬
holfen. Bis gegen Glock elf gestern nacht hat's hingedauert. Die
Zungenpfeifen mußten doch noch mal ordentlich durchgestimmt werden."
Schwere Tritte tappen die hölzerne Turmtreppe herauf. Ts sind
die Leute, die die große Glocke zu läuten kommen. „Gu'n Morr'n ok,
Herr Kanter!"
„Guten Morgen, Lahmanns Vater! Morgen, Heers!"
„Ua, Herr Kanter, nu möt wie da woll bi, 't mudd glieks slah'n,
un eh bi 'n Lüden Tritt sat't hat —"
„5o—o! Ti, ei, da muß ich schnell 'nunter, der Dienst ruft.
Ua, Minna hat gewiß längst die Nummern angesteckt und aufgeschlossen.
I, such' und such', ich muß 'n doch in der Westentasche stecken haben,
den Kirchenzettel. — was hat er denn heut' für Thoräle? Uh, zuerst
Nummer 295 ,wie schön leucht't uns der Morgenstern' — mein Leib¬
lied, ist nett von Pastor Trull. vorher nehm' ich mein Morgenstern¬
vorspiel. Uber zuerst, unterm Läuten, das große Festweihepräludium
mit Fuge. Blitz noch mal zu, alles heraus! wind, wind her, Lüh¬
mann, heute sollste mir dran glauben! volles Werk, 'raus, 'raus
alle meine 24 klingenden Stimmen! wartet man, hören und Lehen
soll euch vergehen unten! Na, ich sag', der Herrgott im Himmel selber
soll an meinen Grgelweihesonntag zurückdenken!"
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