Metadata: Dichtungen (I [und II], [Schülerband])

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Man fing von den Gleichnissen an, Beschreibungen folgten, und 
was nur immer den äusseren Sinnen darstellbar gewesen wäre, 
kam zur Sprache. 
Bilder also! Wo sollte man diese Bilder aber anders her¬ 
nehmen als aus der Natur? Der Maler ahmte die Natur offen¬ 
bar nach; warum der Dichter nicht auch? Aber die Natur, wie 
sie vor uns liegt, kann doch nicht nachgeahmt werden, sie ent¬ 
hält so vieles Unbedeutende, Unwürdige, man muss also wählen; 
was bestimmt aber die Wahl? man muss das Bedeutende auf¬ 
suchen; was ist aber bedeutend? 
Hierauf zu antworten mögen sich die Schweizer lange be¬ 
dacht haben: denn sie kommen auf einen zwar wunderlichen, 
doch artigen, ja lustigen Einfall, indem sie sagen, am be¬ 
deutendsten fei immer das Neue, und nachdem sie dies eine 
Weile überlegt haben, so finden sie, das Wunderbare fei immer 
neuer als alles andere. 
Nun hatten sie die poetischen Erfordernisse ziemlich zu¬ 
sammen, allein es kam noch zu bedenken, dass ein Wunder¬ 
bares auch leer fein könne ohne Bezug auf den Menschen. Ein 
solcher nothwendig geforderter Bezug müsse aber moralisch sein, 
woraus denn offenbar die Besserang des Menschen folge, und so 
habe ein Gedicht das letzte Ziel erreicht, wenn es ausser allem 
anderen Geleisteten noch nützlich werde. Nach diesen sämmt¬ 
lichen Erfordernissen wollte man nun die verschiedenen Dichtungs¬ 
arten prüfen, und diejenige, welche die Natur nachahmte, sodann 
wunderbar und zugleich auch von sittlichem Zweck und Nutzen 
sei, sollte für die erste und oberste gelten. Und nach vieler 
Ueberlegung ward endlich dieser grosse Vorrang mit höchster 
Ueberzeugung der Aesopischen Fabel zugeschrieben. 
So wunderlich uns jetzt eine solche Ableitung vorkommen 
mag, so hatte sie doch auf die besten Köpfe den entschiedensten 
Einfluss. Dass Geliert und nachher Lichtwer sich diesem Fache 
widmeten, dass selbst Lessing darin zu arbeiten versuchte, dass 
so viele andere ihr Talent dahin wendeten, spricht für das Zu¬ 
trauen, welches sich diese Gattung erworben hatte. Theorie und 
Praxis wirken immer auf einander; aus den Werken kann man 
sehen, wie es die Menschen meinen; und aus den Meinungen 
voraussagen, was sie thun werden. 
Doch wir dürfen unsere Schweizer Theorie nicht verlassen, 
ohne dass ihr von uns auch Gerechtigkeit widerfahre. Bodmer, 
soviel er sich auch bemüht, ist theoretisch und praktisch zeitlebens 
ein Kind geblieben. Breitinger war ein tüchtiger, gelehrter, ein¬ 
sichtsvoller Mann, dem, als er sich recht umsah, die sämmtlichen 
Erfordernisse einer Dichtung nicht entgingen, ja, es lässt sich 
nachweisen, dass er die Mängel seiner Methode dunkel fühlen
	        
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