Full text: Die Neuzeit (Band 3)

Französische Litteratur. Voltaire. 309 
Unterhaltung, die steife Hostracht und der geschmacklose Putz ab¬ 
gelegt; daher zogen sich die Mitglieder den Spottnamen „Blau¬ 
strümpfe" zu, der seitdem eine Bezeichnung übermäßig gelehrter 
Frauen geblieben ist. 
3. Die Litteratur Frankreichs. 
Viel tiefer untergruben das Bestehende in Glauben und 
Denken, in Staat, Kirche und Leben die französischen Schrift¬ 
steller , unter deueu drei von gewaltiger Wirksamkeit gewesen 
sind und die wir deswegen auch , weil jeder von ihnen in der 
ihm eigentümlichen Weise sich gegen die Anschauungen der Zeit 
gewandt hat, etwas näher betrachten müssen. 
Jean Frauoois Marie Aron et, bekannt unter seinem 
Schriststellernameu Voltaire, geboren 1694 höchst wahrschein¬ 
lich in Paris, in einem Jesuitenkolleg erzogen, sprach mit uner¬ 
hörter Kühnheit alle die leichtfertigen Grundsätze aus, welche da¬ 
mals zum guten Ton der vornehmen Welt gehörten, und fein 
vom Witz beflügelter Geist griff zersetzend in alle Gebiete mensch¬ 
lichen Wissens und Erkeuuens hinein; aber während wir sein 
ungemeines Talent bewundern und anerkennen, daß er vieles 
Mißbräuchliche und Falsche aus den Anschauungen seiner Zeit 
entfernt hat, wenden wir uus doch gleichzeitig widerwillig von 
dem kalten, gemütlofen Menschen ab, dessen große geistige Kraft 
von einer tief sittlichen Lebensregel nicht geleitet wird. Seine 
fast zahllosen Werke umfassen Dramen, Lustspiele, größere Ge¬ 
dichte, Romane, geschichtliche Arbeiten, in allen bewegt sich eine 
leichte, anmutige Sprache, aber das Erwärmende und Belebende 
eines großen Dichters findet sich in ihnen nicht. Seine Ge- 
fchichtswerke, denen gründliche Vorarbeiten abgehen, bringen eine 
geistvolle Vergleichung der Gegenwart mit der Vergangenheit; 
in feinen Romanen beantwortet er in erzählender Form immer 
irgend eine brennende Frage der Zeit. Sein größtes Helden¬ 
gedicht: „die Henriade" führt uns König Heinrich IY. vor und 
fordert religiöse Duldung; in einem andern, mit allem geistigen 
Schmutz behafteten Gedicht: „die Jungfrau von Orleans" scheut 
er sich nicht, eine der reinsten und erhabensten Persönlichkeiten 
der französischen Geschichte mit niederem Spott herabzuwürdigen. 
Wie ganz anders hat Schiller in seinem schönen Drama die 
Jnngsrau als Prophetin und Retterin ihres Landes geschildert! 
Voltaire ist der führende Dichter des anstürmenden Jahrhun¬ 
derts ; er reißt nieder, ohne im Menschen wieder aufzubauen. 
Anders ist die Thätigkeit Montesquieu^. In seinen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.