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Als sie erwachsen war, mußte sie bei fremden Leuten
in Dienste gehn, denn ihre Eltern waren sehr arm. An¬
fangs war man immer sehr wohl mit ihr zufrieden, denn
sie war reinlich, ordentlich und willig; aber bald machte
sie sich durch ihre Klatschereien so verhaßt, daß man ihr
den Dienst aufsagte. So ging es bei jeder Herrschaft,
und endlich war sie in so Übeln Nus gekommen, daß sie gar
keine mehr finden konnte. Sie mußte ihre Vaterstadt ver¬
lassen, und da sie es auch an fremden Drten nicht besser
machte, so hatte sie überall dafielbe Schicksal. Wegen ihrer
Plaudereien wurde sie mehrmals bald als Zeuginn, bald
als Schuldige vor Gericht gefordert, und verschiedene Male
gestraft. Kein rechtschaffener Mann hatte Lust sich durch
eine solche Stadtklatsche unglücklich zu machen. Im Alter
arbeitete fie um Tagelohn, und auch dazu wählte man sie
ungern, ob sie gleich eine tüchtige Arbeiterinn war. So
war ihr ganzes Leben eine Kette von ewiger Unruhe, die
sie Andern und sich selbst verursachte.
Wo viele Worte sind, da geht's ohne
Sünde nicht ab. Sprüchw. 10, 19. Ein Jegli¬
cher sei schnell zu hören, langsam aber zu re¬
den. Jac. 1, 19.
47. Unbesonnenheit.
Hannchen und Pauline waren zwei Schwestern, aber
in ihren Gesinnungen und ihrer Art zu handeln sehr ver¬
schieden. Pauline war ein lustiges Mädchen voll drolliger
Einfälle, und das tadelte Niemand. Aber sie war auch bei
ihren Handlungen und Reden sehr unbedachtsam, und das
tadelten Viele. That sie etwas, so that sie es rasch, ohne
vorher ernstlich zu überlegen, ob es auch gut, recht und
nützlich sei. Sprach sie, so geschah es oft ohne Überle¬
gung. Befand sie sich in Gefahr, so blieb sie nicht ruhig,
sondern verlor gleich alle Besinnung, klagte und schrie nur,
und wußte sich nicht zu helfen.
Einmal fuhren beide Schwestern mit ihrem Vater
nach einer entfernten Stadt, wo dieser einen Freund be¬
suchen wollte. Der Freund nahm die Gäste sehr liebreich
auf, und suchte ihnen den Aufenthalt bei ihm so angenehm