Full text: Griechische Geschichte (Teil 1,1)

— 108 — 
konnten in Griechenland unter schlechten Regierungen („jüngere Tyran¬ 
nis") und bei der andauernden Abneigung selbst der Proletarier gegen 
die produktive Arbeit nicht einmal die heimischen Hilfsquellen hinreichend 
ausgebeutet werden. Mit der Anhäufung des Vermögens in den Händen 
weniger verband sich die unaufhaltsam fortschreitende Verarmung der 
großen Maffe. 
2. Trotz alledem blieben die Hellenen für die gesamte neue (Staaten- 
Welt noch lange unentbehrlich. Der Strom griechischer Auswanderer, der 
sich, das Mutterland entvölkernd, über den Orient ergoß, fand hier ein 
Feld vielseitiger Kulturarbeit. Die neue durch ihn verbreitete „helle¬ 
nistische Bildung" wurzelte in einer Art hellenischen Nationalbewußt¬ 
seins, in dem stolzen Gefühl der geistigen und moralischen Überlegen¬ 
heit des Hellenentums über die „Barbaren" und fand einen ihrem welt- 
bürgerlichen Wesen entsprechenden Ausdruck in der neuen attischen Weltsprache. 
3. Die griechische Religion wurde durch orientalische Vorstellungen 
und Gottesdienste ausgelöst und bei den Gebildeten immer mehr durch die 
Philosophie ersetzt, deren Mittelpunkt Athen blieb (epikureische, stoische, 
skeptische Schule). In der Poesie, für welche die Zeitverhältnisse am 
wenigsten günstig waren, gedieh neben der neuen attischen Komödie (S. 100) 
noch am besten das Epigramm und die Idylle (Theokrit aus Syra¬ 
kus c. 270). Die Beredsamkeit hatte ihre praktische Bedeutung vollends 
verloren und lebte nur noch als Rhetorik in den Schulen von Athen 
und Rhodus fort. Die Geschichtschreibung erreichte trotz der Fülle 
neuen Stoffes die Höhe früherer Zeiten nicht wieder. 
4. Die litterarische Thätigkeit beschränkte sich im wesentlichen darauf, 
die vorhandenen reichen Bildungsstoffe wissenschaftlich zu durchdringen und 
zu verarbeiten. Darum standen die exakten Wissenschaften im Vorder¬ 
grund , in denen der Mathematiker Euklides (c. 300) und der Geograph 
und Astronom (auch Literarhistoriker) Eratosthenes (c. 250) besonders 
hervorragten. In der neu aufkommenden, an den Höfen von Alexan- 
dria (Museum, Bibliothek) und Pergatnunt eifrigst gepflegten Philo¬ 
logie (Textreeensionen der Klassiker) nahm der scharfsinnige Homerkritiker 
Aristarchus (c. 200) den ersten Rang ein. 
5. Die bildenden Künste, namentlich die Plastik, zeigen trotz 
aller Virtuosität der Technik durch ihre vorherrschende Richtung auf den 
materiellen Effekt (auf das Kolossale, Prächtige und Pathetische; rhodische 
Schule: „Koloß von Rhodus", Laokoongruppe, farnesischer Stier) ben 
innerlichen Verfall dieses „alexandrinischen Zeitalters", doch blieb 
auch jetzt noch die Reinheit der schönen Form das unzerstörbare Eigen¬ 
tum der griechischen Meister (Pergamenische Schule: sterbender Gallier, 
Gigantomachie am Altar zu Pergatnunt). 
Druck von C. Heinrich, Dresden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.