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Die Perserkriege. 500 —479.
Satrapienverzeichnis, die Beschreibung der Königsstraße, auch wohl für das Verzeichnis
der Truppenführer des Xerxes offizielle persische Quellen zur Verfügung hatte. Im
übrigen aber gibt er die Überlieferung der Perserkriege, wie sie seit etwa 450—430 in
Griechenland zu finden war; einzelne Mitkämpfer wird er selber noch gesprochen haben.
Diese Überlieferung, deren Zuverlässigkeit Meyer a. a. O. mit Recht betont,
war allerdings in einem Punkte bereits verdorben, nämlich durch das Bestreben, die
Zahlen der angreifenden Perserheere ins Ungemessene zu vergrößern. Diesen Punkt
hat zuerst Delbrück (Perser- und Burgunderkriege, 1881) richtig beleuchtet;
er geht aber in seiner Gesch. der Kriegskunst (19082) nach der anderen Seite zu weit,
wenn er Xerxes’ Heer auf rund 50000 Mann, wovon nicht mehr als 20000 Kämpfer,
herabsetzt. Indem sich im übrigen Herodot bemüht, die Erzählung seiner Gewährs¬
männer so getreu als möglich wiederzugeben, ist ihre Tendenz in sein Geschichts¬
werk eingedrungen; daher die Bevorzugung der Alkmeoniden, die Zurücksetzung des
großen Themistokles, die glimpfliche Behandlung des delphischen Orakels, dessen
Stellung im Freiheitskampf sehr zweifelhaft gewesen war. Auch hier hat Herodot den
Priestern zu viel geglaubt, wenn es auch völlig verkehrt ist, ihn als einen, womöglich
bezahlten Agenten Delphis hinzustellen (C. Niebuhr, Einflüsse orientalischer
Politik auf Griechenland im 6. und 5. Jahrhundert = Mitteil, der Vorderas. Gesell¬
schaft, 1899). Auch darin zeigt sich der Einfluß Athens, wo er unzweifelhaft viele
Nachrichten einzog, daß die Spartaner durchweg mit Ironie, die Thebaner und
Korinther mit Haß, Thessalien und Argos trotz bedenklicher Haltung im Freiheits¬
kampf mit Nachsicht behandelt werden; so ungefähr dachte man um 430 in Athen
über die Feinde. Den spartanischen Anteil haben erst Nordin (Die äußere Politik
Spartas zur Zeit des ersten Perserkrieges, Upsala 1895) und dann Ed. Meyer ins
rechte Licht gestellt. Übrigens hatte Her. auch persische Gewährsmänner; auf die
Familie des Demaratos hat Meyer, auf die Familie desHarpagos v. Prasek (a. a. O.),
auf Zopyros, den Sohn des Megabyzos, Wells (Journ. hell. stud. 1907, 27, 37—47)
hingewiesen. Von zeitgenössischen Quellen, die fast sämtlich schon von Herodot
verwertet sind, ist nicht mehr viel da; außer Äschylos’ Persern mit der Be¬
schreibung der Schlacht von Salamis und Simonides’ Epigrammen (Bergk, Lyr.
graec. II4 422 f.) sind zu erwähnen die Schlangensäule, das noch in Kon¬
stantinopel erhaltene Weihgeschenk der Griechen nach Platää (Röhl, Inscr.
antiquissimae Graecae 70; besser Dittenberger*, Syll. inscr. Graec. I2 7),
und die Inschrift auf der Basis einer Zeusstatue des Anaxagoras in Olympia
(Paus. V 23, 1—2).
Die zweite Schicht der Überlieferung über die Perserkriege stellt Ephoros dar,
der im Auszuge bei Diodor vorliegt (vgl. Schwartz „Diodoros“ bei Pauly-Wissowa
RE V 663 — 704). Er benutzt in erster Linie Herodot und ergänzt ihn aus Ktesias, der
eine stark abweichende, spartanerfreundliche und von derpersischen Hofhistoriographie
abhängige Darstellung der Perserkriege gegeben hatte (vgl. L a n z a n i , Riv. stor.
ant. 1901, 6, 316—338), und anderen ihm zu Gebote stehenden Quellen. Vor allem aber
gibt er eine vollkommen von der Rhetorik beeinflußte Darstellung des Kampfes, in der
die Tatsachen bereits teilweise willkürlich verzerrt sind und hohle Deklamation an Stelle
der historischen Darstellung tritt (vgl. Wachsmuth, Einleitung S. 498 f.). Auf
Ephoros gehen in letzter Linie Justin und Plutarch zurück in den Lebensbeschrei¬
bungen des Themistokles und Aristides (A. Bauer, Plutarchs Themistokles für
quellenkritische Übungen kommentiert und herausgegeben 1884), doch hat dieser
daneben eine Schmähschrift des Stesimbrotos von Thasos (jisq'l QeijLIotoxXeovq,
Oovxvölöov xai TIeqixMovq um 430) und sonst viel anekdotisches Material benutzt,
wie es die alexandrinischen Biographen zusammenstellten. Dazu kommen viele Einzel¬
heiten in Aristot. Staatsschriften, in Polyäns Kriegslistensammlung u. a. — Für die
sizilischen Ereignisse steht die Sache ebenso: in erster Linie wichtig sind die An¬
gaben Herodots, die freilich zu einer genauen Darstellung der Ereignisse nicht aus¬
reichen; ihm tritt, wie Äschylos dem Herodot, als zeitgenössische Quelle Pindar in
den sizilischen Oden zur Seite. Die zweite rhetorisch beeinflußte Schicht bezeichnet
hier Timäos von Tauromenion, der die Hauptquelle für Diodors Darstellung der
sizil. Ereignisse und für die Pindarscholien abgegeben hat.
Literatur. Über die Quellen der Perserkriege handeln im Zusammenhang Bu¬
solt II 2, 45of. 557f. Meyer GdA III 258 f. und Pö hl mann S. 95. Über
Herodot vgl. die zusammenfassende Darstellung Meyers in den *Forschungen
zur alten Geschichte (1892 I 196 f.). J. M. Bury, The ancient Greek historians