§ iog. Die Kunst.
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Die städtischen Bauten sind infolge der hohen kulturellen Bedeutung
des Bürgertums die bedeutendsten Denkmäler der spätmittelalterlichen
Profankunst. Mit besonderem Eifer wandte man sich dem Turmbau
zu. In allen Gestalten (Viereck und Rundform überwiegen) erhoben
sich die Türme als Wahrzeichen der Stadt. Die zur Erhöhung der
Wehrhaftigkeit übliche Verbindung von Turm und Tor und die dadurch
meist nötige Durchfahrt stellte den Künstlern die schönsten Aufgaben.
Es lassen sich folgende Typen von Stadttoren unterscheiden:
1. Ein Turm mit Durchfahrt (Stendal, Tangermünde, Severintor in Köln,
Pyritz, Königsberg, Altstädter Brückenturm zu Prag).
2. Doppeltürme mit Torhaus und Durchfahrt (unter dem Torhaus) gab es
schon in roman. Zeit (Hahnentor zu Köln). Dieser Typ hat sich lange erhalten (Hei¬
ligenkreuztor in Brügge, Holstentor in Lübeck).
3. Drei Türme mit a) beherrschendem Mittelturm (Pantaleonstor in Köln, Spalen-
tor zu Basel, schönes Tor in Bordeaux), b) mit beherrschenden Flankentürmen.
4. Doppeltore und Torburgen (Andernach, deutsches Tor in Metz, Neubranden¬
burg, Florianitor in Krakau).
Besonders malerische Wirkungen erreichten die Torbauten, wo sie mit Brücken
verbunden waren, wie z. B. an der großartigen Karlsbrücke zu Prag, deren Bau 1357
(von Peter Parier von Gmünd) begann, oder an dem sog. „Rabot“ in Gent (beg. 1489).
Die Rathäuser u. Kaufhallen stellten an das konstruktive Können der
Künstler keine besonderen Anforderungen, daher trat das Dekorative
in den Vordergrund. Das Erdgeschoß wurde gern durch spitzbögige
Lauben nach der Marktseite geöffnet. Die Fassaden belebte man mit
Vorliebe durch Erker und Nischen für Statuen. Die Bauten der spä¬
teren Zeit zeichnen sich durch hohe Giebel und Türmchen, namentlich
an den Ecken, aus. Die spätgotischen Formen sind deswegen nicht mehr
scharf von denen der Frührenaissance zu trennen.
Die ersten großen städt. Bauten entstanden in Flandern, wo wirtschaftliche
Blüte und bürgerliches Selbstbewußtsein den Künstlern reiche Mittel zur Verfügung
stellten (Tuchhallen zu Ypern [1380] u. Gent, Kaufhalle zu Brügge, Rathäuser zu
Brüssel, Löwen u. a.).
Das älteste got. Rathaus in Deutschi, ist das „Grashaus" zu Aachen (um 1267
von Rich. v. Cornwallis errichtet). Die größten Rathäuser entstanden in den Hanse¬
städten. Die Vereinigung von Kaufhalle und Bürgersaal mit Gerichtslaube unter einem
Dach ermöglichten es stattliche Bauten zu errichten, für die oft der alte rechteckige
Grundriß (Minden, Duderstedt) nicht genug Raum bot. Der Winkelhakentypus
bürgerte sich ein (Braunschweig, Lübeck). Schließlich schlossen sich an das Rathaus
ganze Gebäudekomplexe (Wage, Tanzhaus usw.), und mitunter bedeckten diese einen
ganzen Straßenblock (Thom, Breslau). Der Turm war kein notwendiger Bestandteil
des Rathauses.
Auch die got. Skulptur hatte ihre Wurzeln in Frankreich. Als sie
sich dort auf der Höhe (Chartres, Amiens, Bourges, Paris) befand, kam
sie nach Deutschland, wo die Nachahmung der Franzosen zu Übertrei¬
bungen führte (Fassade des Kölner Domes). Die Folge des Strebens
nach Symmetrie und „natürlicher Manier“ war bei der Massenproduktion,
die die kirchlichen Bauten der Zeit verlangten, eine Verflachung. Im
14. Jh. war nur noch die Grabmalkunst (St. Denis, Dijon) einer gesunden
Entwicklung fähig; in Deutschland erwies sie sich unter dem Einflüsse
der spätrom. Skulpturen des Naumburger Domes weit selbständiger als
die sonstige Plastik.
Der Erzguß hatte seine erste Pflegestätte in den Niederlanden (Dinant
bei Namur, Dinanderie), die ihre Erzeugnisse weithin versandten. Von
Flandern kamen die namentlich in Norddeutschland beliebten Metall-