Full text: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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sprach er nach prüfendem Lauschen. Er ließ das Fallgatter vom 
Tor herniederrasseln, zog das Brücklein auf, das über den Wasser— 
graben führte, und langte sein Horn vom Nagel. Und weill sich einiges 
Spinnweb drin festgesetzt hatte, reinigte er es. Jetzt kamen die vor— 
dersten des Zuges am Waldsaum zum Vorschein. Da fuhr Romeias 
mit der Rechten über die Stirn: „Weibervölker!?“ Er sprach's halb 
fragend halb als Ausruf, und keine Freudigkeit lag in seinem Worte. 
Er griff sein Horn und blies dreimal hinein. 
Da füllten sich die Fenster am Saal der Klosterschulen mit neu⸗ 
gierigen jungen Gesichtern. Der Abt sprang aus seinem Lehnstuhl 
und reckte seine Arme der Decke seines Gemachs entgegen, ein schlaf— 
trunkener Mann. Dann hinkte er zum offenen Söller seines Erkers 
und schaute hinab. Und er ward betrüblich überrascht: „Heiliger 
Benedikt, sei mir gnädig, meine Base, die Herzogin!“ Sofort schürzte 
er seine Kutte, hing das güldne Kettlein mit dem Klostersiegel um, 
nahm seinen Abtstab von Apfelbaumholz, dran der reichverzierte 
Elfenbeingriff erglänzte, und stieg in den Hof hernieder. 
„Wird's bald?“ rief einer der Berittenen draußen. Da gebot 
der Abt dem Wächter, daß er die Angekommenen nach ihrem Begehr 
frage. Romeias tat's. Jetzt ward draußen ins Horn gestoßen, der 
Kämmerer Spazzo ritt als Herold ans Tor und rief mit tiefer Stimme: 
„Die Herzogin und Verweserin des Reichs in Schwabenland entbeut 
dem heiligen Gallus ihren Gruß. Schaffet Einlaß!“ 
Nach längeren Verhandlungen wurde das Tor geöffnet. 
Der Abt geleitete seine Gäste zuerst zur Kirche, wo Frau Hadwig 
am Grab des heiligen Gallus ihre Andacht verrichtete. Dann gedachte 
der Abt, ihr einen Gang im schattigen Klostergarten vorzuschlagen; 
aber sie bat, ihr zuvörderst den Kirchenschatz zu zeigen. Der Frauen 
Gemüt erfreut sich allzeit an Schmuck, Zierat und prächtiger Ge— 
wandung. Sie traten in die Sakristei. Dort ließ der Abt die ge— 
bräunten Schränke öffnen. Da war viel zu bewundern an purpurnen 
Meßgewändern, an Priesterkleidern mit Stickerei und gewirkten 
Darstellungen aus heiliger Geschichte. Hernach wurden die Truhen 
aufgeschlossen. Da glänzte es vom Schein edler Metalle; silberne 
Ampeln gleißten herfür und Kronen, Streifen getriebenen Goldes 
zur Einfassung der Evangelienbücher und der Altarverzierung, köstliche 
Gefäße in seltsamen Formen, Leuchter in Delphinengestalt, säulen— 
getragene Schalen, Weihrauchbehälter und viel anderes — ein reicher 
Schatz. Auch ein Kelch von Bernstein war dabei, der schimmerte 
Lesebuch II. 22
	        
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