320 Drittes Kap. Kunst und Wissenschaft. 
Geistcsbeschränkung, den man gegen die Laien anwandte, wirkte nachtheilig auch 
aus die Priester zurück. Die Gewohnheit symbolischer Rede führte zur Ver¬ 
gessenheit ihres ursprünglichen Sinnes, und engherziges Standesinteressc gebot 
selbst der auserlesenen Kaste Umfang und Weise der wissenschaftlichen Bildung. 
§. 12. Philosophie 
Bei dieser illiberalen Behandlung aller Disciplinen, bei dieser Fesselung 
des Geistes durch den herrschenden sowohl, als durch den knechtischen Aber¬ 
glauben, wie hätte wohl die Philosophie aufkommen mögen? Sic, welche 
die Summe der Wissenschaften ist und das Höchste und Freieste in der Er¬ 
kenntniß? — Auch wurde sie scientivisch nicht getrieben. Höhere Geister 
entdeckten wohl einzelne spekulative und praktische Wahrheiten, und theilten sie 
ihren Zeitgenossen rhapsodisch mit, in Bildern, Allegorien und Denksprü¬ 
chen (nach dem allgemeinen Geschmack des Orients); aber Systeme bauten 
sie nicht, und — wie die Neligions ge schichte bewies — zur deutlichen 
Anerkennung des Höchsten erhoben sie sich nicht. Mehr können wir, da — 
mit Ausnahme einiger heiligen Bücher — von Geisteswerken der Orienta¬ 
len keine auf uns gekommen, von ihrer Wissenschaft und Philosophie nicht sagen. 
Auch bei den Griechen — vorzüglich den klein-asiatischen — dämmerte 
schon das Licht der Erkenntniß; und schon in der — wiewohl später entfal¬ 
teten —> Blüthe versprach hier die Wisseuschaft, als welche nicht so, wie im 
Orient, in einen geschlossenen Kreis von Eingeweihten gebannt war, eine reichere 
Ernte. Schon waren viele Kenntnisse des Morgenlandes auf griechischen Bo¬ 
den verpflanzt; schon hatten Thales und Solon und fünf andere Männer, 
denen die Zeitgenossen verehrungsvoll den Namen der Weisen gaben, durch 
Wort und Beispiel gelehret: — aber noch schweigen wir davon, denn erst im 
folgenden Zeitraume hat die griechische Wissenschaft und Philosophie einen be¬ 
stimmten Charakter gewonnen; und interessanter und lehrreicher, als eine 
ängstliche Zerstückung nach der im Allgemeinen angenommenen Periodenbestim¬ 
mung, scheint uns eine zusammenhängende Darstellung jener hellenischen 
Geisteskultur nach ihren Gründen und Resultaten zu seyn.
	        
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